Artikel aus Mobile Times 3 | |
Startseite : Archiv : Heft 3 : Artikel |
Telearbeit wird zwar in Fachkreisen diskutiert, für den praktischen Alltag zeigen sich aber kaum Auswirkungen. Ob das daran liegt, daß die Unternehmer ihre Leute lieber direkt kontrollieren? Von Schweden ausgehend breitet sich eine neue Form der Arbeitsorganisation aus, die beide Varianten unter einen Hut zu bringen verspricht.
Das Konzept des virtuellen Unternehmens oder wenigstens des virtuellen Büros hat inzwischen die Think-tanks verlassen und beginnt sich in der Realitiät auszubreiten. Dennoch gibt es teilweise heftige Bedenken gegen das virtuelle Büro - und nicht nur von den Gewerkschaften, denn schließlich gibt es ja auch ein Interesse der Firmen, eine Art von "Corporate Identity" aufzubauen, die auch das Verhalten der Mitarbeiter mit einschließt. Und dann gibt es auch noch Situationen, die die Anwesenheit der Mitarbeiter im Unternehmen tatsächlich fordern.
Außerdem - wer will wirklich immer in seinen eigenen vier Wänden arbeiten - ohne Kontakt zur Welt außerhalb?
Man stelle sich ein Büro vor, das gar nicht wie ein Büro aussieht, sondern eher dem Inneren eines Glashaus in einer Gärtnerei oder vielleicht auch dem Wohnzimmer einer alten Dame, die über einen "grünen Daumen" verfügt, gleicht.
Stellen Sie sich vor, Sie marschieren wie jeden Morgen in Ihr Büro. Weil Sie als Erster hier sind, erleben Sie, daß es wie immer um diese Zeit, ruhig und leer ist. Nur die sanfte Hintergrundmusik aus den Lautsprechern des CD-Systems ist zu hören.
Im Zentrum des Raumes steht ein wunderbarer grüner Baum zu dessen Füßen alle möglichen Früchte liegen - so als ob sie von eben diesem Baum stammen würden: Äpfel, Mangos, Pfirsiche. Sie wählen eine Frucht aus - es ist aber gar keine Frucht, sondern eine geschickte Tarnung für einen Schalter.
Wenn Sie den Schalter drücken, beginnt plötzlich ein Terminal von der Decke herabzuschweben. Der Bildschirm schaltet sich ein - jetzt brauchen Sie sich nur noch einen Sessel zu schnappen und können zu arbeiten beginnen.
Das was wir eben beschrieben haben, ist sicher nicht Ihr Büro - es sei denn, Sie arbeiten bei Digital in Stockholm. Dort begann 1991 die Story, die wir hier erzählen wollen.
Digital in Schweden durchlebte harte Zeiten: der Umsatz ging zurück, Mitarbeiter wurden gekündigt und mit der Moral der Verbliebenen stand es nicht zum Besten.
Bei Digital in Stockholm begann man damals mit einem Projekt, das Büroarbeit bzw. wie Büroarbeit aussehen soll, von Grund auf neu definieren sollte. Johnny Johansson, der Projektverantwortliche meint noch heute "das war für Digital nur logisch, denn wir waren ja bereits im Geschäft mit Büroautomation - mit anderen Worten Computersystemen. Aber wir hatten das Gefühl, daß wir noch immer kein gutes Beispiel dafür abgaben, wie man diese Geräte nutzen sollte."
Der Kern der Überlegung war wohl, daß jeder vom papierlosen Büro spricht und sich dabei mit immer mehr wachsenden Bergen von Papier umgibt.
Nach mehreren Anläufen ein sogenanntes "Clean Desk"-Programm durchzuziehen, die sich alle nach einer Weile im Sande verliefen, entschloß man sich radikaler vorzugehen. Eine Gruppe von zwanzig Netzwerk-Designern und Verkäufern wurde als "Versuchskaninchen" ausgewählt.
Zuerst fragte man die Kandidaten, wo sie am liebsten bzw. am besten arbeiten. Die Antworten wären bei uns auch kaum anders: "im Garten", "am Strand", "am Golfplatz" oder auf den Schären, einer Gruppe von hunderten Inseln vor Stockholm.
Am Ende einigte man sich auf die Schären als Vorbild für das Büro. Die Wände des 200 m² großen Raumes wurden mit rot gestrichenem Holz getäfelt, was an den traditionellen schwedische Baustil für Häuschen erinnert und so ein gewisses Freizeitgefühl vermittelt.
Der gesamte Raum ist ein offener Platz, der sich in zwei Bereiche gliedert: den Coffee-Shop für informelle Treffen und ein etwas abgeschiedenerer Teil für mehr ungestörte Gespräche. Die einzige feste Installation ist eine Art "Brücke", die auf dem Plateau einer Säule steht. Dort arbeitet die Sekretärin, die den ganzen Raum überblicken kann - das kam so: "Eine der sonderbarsten Eigenschaften normaler Büros ist die Tatsache, daß der Boß, der am wenigsten Zeit im Büro verbringt, den größten Raum zur Verfügung hat, während die Sekretärin, die die meiste Zeit im Büro verbringt, sich mit dem wenigsten Platz begnügen muß."
Bei Digitals Versuchsgruppe ist das ganz anders - hier hat nur die Sekretärin einen fixen Arbeitsplatz, alle anderen können jetzt, wenn sie im Büro sind, arbeiten wo sie wollen.
Wo es keine fixen Arbeitsplätze gibt, kann es auch kein fixes Telefon geben, denn die Idee des "natürlichen Büros" besteht ja darin, daß jeder sich frei bewegen kann - also muß er auch sein Telefon mitnehmen können.
Ein Reihe von Möglichkeiten wurde geprüft. Zuerst dachte man an Mobiltelefone, also entweder analoge oder digitale (GSM) Geräte. Die erwiesen sich aber als ungeeignet, weil man sie nicht leicht an die hauseigene Vermittlungsanlage anschließen konnte. Dazu kam, daß jedes Interngespräch zu einem externen Gespräch mit den entsprechenden Telefongebühren geworden wäre.
Daher begann man mit analogen Schnurlostelefonen zu experimentieren, entdeckte aber rasch zwei Probleme, die den Einsatz solcher Geräte unmöglich machten:
Auf den verfügbaren Funkkanäle konnten nur relativ wenig Leute telefonieren und außerdem sind analoge Schnurlostelefone für Außenstehende relativ leicht abzuhören.
Schlußendlich ließ Digital alle Versuche mit analogen Schnurlostelefonen fallen und entschloß sich, einen Versuch mit der drahtlosen Ericsson-Nebenstellenanlage Freeset zu starten. Die DECT-Anlage wurde vollständig in die vorhanden Telefonanlage von Digital in Stockholm integriert.
Arne Höggren von Digital Schweden ist heute noch von dieser Entscheidung überzeugt: "Wir konnten kein anderes System finden, das uns die selbe Sprachqualität wie ein normales drahtgebundenes Telefon liefert, noch konnten wir eine Lösung finden, die weniger als Freeset gekostet hätte."
Und weiter heißt es: "Das System gibt uns völlige Freiheit herumzuwandern, ohne unsere Möglichkeiten zu kommunizieren zu verschlechtern; im Gegenteil: unsere Gruppe hat innerhalb von Digital jetzt den Ruf ganz besonders leicht erreichbar zu sein."
Inzwischen ist das DECT-System bereits erweitert worden und wird von 160 Mitarbeitern genutzt und obwohl das Konzept des natürlichen Büros noch nicht für alle diese Mitarbeiter voll durchgeführt worden ist, haben sie immerhin bereits den Vorteil, nicht an ihren Schreibtisch gefesselt zu sein.
Wahrscheinlich wird das System auch die Telefonkosten von Digital dramatisch senken: weil Anrufer jetzt eher durchkommen, ist es seltener nötig zurückzurufen, was sich natürlich auf die Telefonrechnung auswirkt.
Freeset-DECT-Anlagen sind inzwischen in vielen Betrieben im Einsatz: z.B. im Wiener Casino, bei den Österreichischen Lotterien oder auch im Wiener Hotel Bristol.
Die Freiheit, die das "natural office" von Digital in Stockholm gibt, ist hier natürlich eine Möglichkeit, die aber hierzulande wohl noch eine Weile auf sich warten läßt.
Dabei hat das Digital-Büro eine Menge von Vorteilen - auch für das Unternehmen: auf der gleichen Fläche, auf der jetzt das "natural office" installiert ist, arbeiteten vorher elf Leute, die dauernd über Platzmangel klagten - heute sind es zwanzig und keiner beschwert sich. Digital schätzt, daß das "natural office" 50% weniger Platz braucht und 70% weniger Energie frißt als ein gewöhnliches Büro und schließlich arbeiten die Leute auch besser: die Verkaufszahlen der Leute sind dramatisch angestiegen, seit sie im "natural office" arbeiten.
Keine Telearbeit, aber vielleicht ein Kompromiß, mit dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer leben können, wenigstens bis durch das Zusammenwachsen von GSM und DECT das Firmentelefon irgendwo in Europa unterwegs sein kann.
MT
Letzte Überarbeitung: Montag, 18. Juni 2007
Text © 1995 by Mobile Times; HTML © 2000-2007 by Mobile Times |