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Die industrielle Revolution im Weltall

Vor zweihundert Jahren begann mit der Dampfmaschine von James Watt die industrielle Revolution, die England den Aufstieg zur Weltmacht brachte. Nun steht uns im Weltall eine ähnliche Revolution ins Haus. Nur wer davon profitiert steht noch nicht fest.


Die industrielle Revolution in unseren Geschichtsbüchern ist durch den Ersatz der menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen und durch den Übergang von händischer Einzelfertigung in Handarbeit zu maschineller Großserie gekennzeichnet.
    Die neue Revolution soll diesen Übergang in der Kommunikationstechnologie bewirken: ein Übergang von Glasfaser und terrestrischen Sendern zu Satellitenkommunikation, ein Übergang von händisch einzeln angefertigten Kommunikations- und Fernsehsatelliten zu maschinell produzierten Hybridsatelliten.

Warum man viele Satelliten braucht:

Wer benötigt eine so große Zahl von Satelliten im Orbit? Haben wir denn nicht schon genug davon?
    Jeder kennt es von seinem Handy: zuhause funktioniert es, doch im Urlaub ist es nutzlos; sei es weil es ein D-Netz Handy ist, sei es weil es hier kein GSM-Roaming-Abkommen gibt. Doch selbst wenn wir in der Nähe bleiben, so kann schon ein einziges hohes Gebäude den Kontakt zur nächsten Funkbasis abreißen lassen. Die logische Schlußfolgerung war, die Handys vom Satelliten aus zu betreiben. Dadurch ist man mit seinem eigenen Handy jederzeit und überall an jedem Punkt dieser Erde erreichbar. Soweit die bunte Theorie.

Wie verwirklicht man das?

In der grauen Praxis stößt man gleich auf einige Probleme, deren Lösung eng mit unserem Titel zusammenhängt.
    Zunächst ist die Frage zu stellen, in welcher Höhe man die Satelliten positionieren will. Man unterscheidet im Prinzip drei Stationierungshöhen: Low Earth Orbit (LEO) in einer Höhe von 200 bis 400 km, Medium Earth Orbit (MEO) in einer Höhe von etwa 20.000 km, und GeoSynchron Orbit (GSO) in einer Höhe von 36.000 km über dem Äquator. Für die bisherigen Satelliten war vor allem die GSO-Bahn gefragt, da Satelliten in dieser Bahn immer am selben Punkt über der Erdoberfläche stehen. Jedoch ist diese Bahn schon mit Fernsehsatelliten überfüllt und zeigt in größerer Äquatorferne deutliche Signaleinbußen.
    Beim Vergleich von LEO- und MEO-Bahnen spricht zunächst einiges für die LEO-Bahnen, da das Handy hier weniger Signalleistung benötigt und daher kleiner sein kann. Allerdings ist dieser Orbitalbereich mit Weltraumschrott früherer Jahrzehnte angefüllt, so daß man sicher mit einigen Kollisionen zu rechnen hätte. Will man nun in diesem Bereich ein Satellitennetz ausbringen, so benötigt man viele Satelliten: erstens um eine Flächendeckung darzustellen, doch zweitens um Verluste rasch zu ersetzen bevor Störungen im Netz auftreten. Wenn man nun bedenkt, daß derzeit die Herstellung eines Satelliten von zwölf Jahren Lebenszeit zwei bis drei Milliarden US$ kostet, so erscheint dieses Projekt undurchführbar.
    Doch bei Stückzahlen von hundert oder mehr Satelliten betritt die Weltraumtechnik endlich den Bereich der industriellen Revolution, der billigen Massenfertigung. Dr. Serentschy von der Austrospace schätzt, daß in den nächsten zwanzig Jahren die Kosten auf ein Zehntel der heutigen sinken werden, ebenso aber auch die Masse. Das ist ein wichtiger Punkt, denn die Satelliten müssen ja auch nach oben gebracht werden. Bei einer solcherart reduzierten Masse wird es möglich, sie mit den ausgemusterten Interkontinentalraketen, insbesondere der 1500 russischen, zu starten. Damit wäre es dann möglich eine Flächendeckung mit Rückversicherung gegen Kollisionen mit Müll zu erzielen.

Was bringt es den Kommunikativen?

Wie schon eingangs erwähnt sind die primären Profiteure eines Satelliten-Kommunikationsnetzes die Benutzer von Handys. Telefonieren weltweit mit einem Gerät, das circa die Größe eines D-Netz-Gerätes der ersten Generation hat, soll, je nach Betreiber, schon ab 1997 bis 1998 möglich sein.
    Ab dann wird man an jedem Ort der Erde telefonieren können oder ein Fax abschicken. Doch auch übertragungsaufwendige Dienste, wie Videokonferenzen, die via Glasfaserkabel verwirklicht werden sollten, überschreiten die Kapazität des Satellitennetzes bei weitem nicht. Dennoch sind Investitionen in Glasfaserkabel nicht umsonst gewesen. Vielmehr wird man sie weiterhin für alle festen Dienste von Punkt zu Punkt verwenden. Die Übertragung über den Weltraum wird hier nur eine Ergänzung zu terrestrischen Übertragungswegen der Multimediakommunikation sein.
    Auch die bisherigen Sendestationen von GSM werden nicht obsolet. Im Gegenteil werden die neuen Satelliten-Handys sowohl über das bestehende Netz terrestrischer Stationen wie GSM an die "Daten-Highways" in den Industriestaaten andocken können, wie auch - nach Wahl durch den Benutzer - direkt über Satellit weltweit kommunizieren können. Der Endbenutzer hat auch die Wahl des Satelliten, das heißt die freie Betreiberwahl. Das heißt in Praxis, daß keines der Konsortien mit seinen Gebühren teurer als terrestrische Zellularnetze sein kann, und mittelfristig die Kommunikation billiger wird.

Was haben Nichttelefonierer davon?

Zunächst ist dieses Satellitennetz für alle von Interesse, die, während sie mobil sind, wissen wollen, wo sie mobil sind. Denn während der Telefonierer es schätzt, daß er auch im Zug oder Fugzeug erreichbar ist, gefällt dem Piloten des Flugzeuges oder auch einem LKW-Fahrer die genaue Standortbestimmung. Doch nicht nur Lokalisierung, sondern auch Navigation wird dadurch verbessert.
    Mit diesen LEO-Satelliten wird neben Videokonferenzen auch Fernsehen an sich ohne Schüsserl empfangbar. Auch wer im tiefsten Amazonasdschungel trekkt, kann dann das heimische Fernsehen genießen.
    Wenn man sich beim Fernreisen vielleicht doch übernommen hat, so schätzt man dann die bestmögliche medizinische Betreuung. Bisher war dazu ein Transport des Arztes oder des Patienten nötig, wozu aber manchmal die Zeit nicht reicht. Mit Satellitenübertragung kann der Spezialist rasch die Daten erhalten, und seine Diagnose abgeben, ja sogar bei der eigentlichen Operation verbal assistieren. Das erste interaktive Fernsehnetz für Ärzte ist derzeit schon im Aufbau.
    Doch auch in anderen Bereichen ist die Idee Daten statt Menschen zu bewegen umsetzbar. Schon seit 1994 experimentiert Kalifornien mit Bildungsfernsehen auf Satellitenbasis, das die Institution der Volkshochschule ersetzen kann. Schließlich eröffnet sich mit dem Telecommuting und der Telearbeit ein weites Feld, das den eigentlichen Rahmen dieses Artikels sprengen würde.

Wer macht das alles?

Dieses oben beschriebene Satellitennnetz soll nun zwischen 1997 und 2000 in Betrieb gehen. Doch wer organisiert das? Derzeit gibt es fünf internationale Konsortien, die je ein Netz für persönliche Mobilkommunikation aufbauen wollen. Zusammen werden sie zwischen sechzig und siebzig Milliarden Schilling investieren, um bis 1997 zwischen zwanzig und siebzig Satelliten pro System in den Orbit zu bringen. Diese Investitionen werden nicht für sich alleine bleiben, sondern eine Fülle von Sekundärinvestitionen für neue, satellitentaugliche Geräte, wie Telefone, Computer, Konsum-Elektronik und ähnliches, in Gang setzen.
    Doch auch Glasfaserkabel für lokale Netze und die nötige Software werden neue Impulse setzen. Schließlich wird auch das, was über die Satellitennetze transportiert wird, gesteigertes Wachstum erleben: die eigentlichen Medien, die Daten und die Software; es entsteht ein ganzer neuer Sektor, der kurz "Multimedia-Industrie" genannt werden kann und von Satelliten über Fernseher und Telefone bis zu Fernsehprogrammen alles herstellt was zu moderner Kommunikation gehört.
    Kurz gesagt wird die Weltwirtschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts durch vernetzte Kommunikation einen ähnlichen Boom erleben, wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch die Verbrennungskraftmaschine und zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch die Dampfmaschine. Wer dabei ist, hat Chancen für die Zukunft, wer fehlt wird Probleme haben ...

Schläft Österreich?

Wer wird von diesem Boom profitieren? Ein kleiner Rückblick in die Geschichte sei gestattet: Vor 200 Jahren setzte sich England gegen Frankreich als Weltmacht durch, vor 100 Jahren wurden die USA zur Weltmacht, wer wird nun Sieger des Booms sein?
    Derzeit führen im Weltraum die USA gefolgt von Europa. Japan liegt noch an dritter Stelle, holt jedoch mit zweistelligen Wachstumsraten auf, da hier kontinuierlich Investitionen getätigt werden und der Satellitentechnik maximale Priorität eingeräumt wird. Japan ist also dabei uns Europäer auch auf diesem Gebiet zu überholen.
    Nach einer Studie von EuroConsult nämlich werden, bei Anhalten der gegenwärtigen Trends, von den rund 160 bis zum Jahr 2004 gestarteten Telekommunikations-Satelliten circa 30% in Asien, 21% in Europa, 18% in den USA und 22% in anderen Ländern gestartet werden. Die große Frage für das 21. Jahrhundert ist also, ob die Kommunikationssysteme aus Japan oder Europa stammen werden, ob massiv Kaufkraft aus Europa nach Japan strömt, oder aus Japan zu uns!
    Eine Antwort auf diese Frage könnte sich schon kommenden Oktober ergeben. Dann nämlich tagt die ESA Ministerratskonferenz, bei der Vertreter der 14 Mitgliedsstaaten, darunter auch Österreich, die Weichen für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Weltraum-Industrie und damit auch für die aller nachgelagerten Industriezweige gestellt werden. Unbedingt nötig zur Aufrechterhaltung der europäischen Wirtschaftskraft ist hier eine Verzahnung der europäischen Weltraumpolitik mit der europäischen Industriepolitik. Für diese Konferenz ist es wesentlich, auf Basis der schon erstellten Konzeptpapiere der europäischen Raumfahrtindustrie, die entsprechenden Strukturprogramme auf staatlicher beziehungsweise auf EU-Ebene rechtzeitig auf die Beine zu stellen.
    Wenn man die unten stehenden Tabelle betrachtet, so ist es erschütternd, daß das einzige europäische Projekt für ein Satellitennetz auch das einzige ist, das noch keine gesicherte Finanzierung hat. Frankreich will nun gemeinsam mit Spanien, Italien und Deutschland einen Versuch unternehmen, das noch-amerikanische Monopol zu brechen, um für die japanische Invasion gerüstet zu sein:
    Doch die Initiative zu einem eigenen europäischen System von Beobachtungs- und Navigationssatelliten auf Basis des Mittelmeernavigationssystems Inmarsat wurde erlebte gleich zu Beginn den eleganten Versuch einer Torpedierung:
    Die USA schlugen Deutschland vor, das US-System zur Benutzung zur Verfügung zu stellen - allerdings wäre es unter amerikanischer Kontrolle geblieben. Scheinbar hoffen die USA, Europa in technologischer Abhängigkeit zu halten, was katastrophale Folgen für das geplante europäische Sicherheitssystem hätte.
    Schon jetzt macht das Fehlen eines eigenen Beobachtungssystems die Europäer politisch immer weniger handlungsfähig. Wenn man sich vorstellt, daß die europäischen Entscheider im Falle Bosnien im wesentlichen auf amerikanische Informationen angwiesen sind ...
    Österreichs Weltraumindustrie hat gerade im Bereich der Erdbeobachtung einen Schwerpunkt. Daher sollte gerade Österreich dringend die Initiative ergreifen und Handlungen setzen, denn die österreichische Industrie ist eine Zulieferindustrie und kein Systemlieferant, geschweige denn, ein Betreiber eigener Raketenstarts.
    Diese zukunftsträchtige Exportindustrie wäre durch ein Scheitern eines europäischen Satellitensystems zum Untergang verurteilt, da sowohl die Amerikaner als auch die Japaner natürlich ihre eigene Zulieferindustrie fördern werden.
    Will Europa und damit Österreich nicht den größten Wachstumsmarkt des 21. Jahrhunderts und die entscheidende Schlüsseltechnologie, die dann ganze Industriezweige prägen wird, versäumen, so ist jetzt dringender Handlungsbedarf der Regierung gegeben!

Michael Köttl




MOBILE TIMES Home Letzte Überarbeitung: Montag, 18. Juni 2007
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