Mobile Times Artikel aus Mobile Times 5
Startseite : Archiv : Heft 5 : Artikel

Die Österreíchische Ärzte-Flugambulanz

Flying Doctors

Viele mobile Menschen sind Mitglied bei der Österreichischen Ärzte-Flugambulanz, denn im Falle des Falles will man doch lieber in einem heimischen Spital liegen. MOBILE TIMES hat sich in der Einsatzzentrale umgesehen.


Als die letzte Uhr von der Wand genommen wurde, war es plötzlich ruhig in dem großen, weiten Raum. Dort, wo jahrelang 12 große Quartzchronometer mit leisem Ticken die genaue Zeit an verschiedensten Orten der Welt angezeigt hatten, blieb nun eine große, leere Fläche zurück. An diesem 21.März 1994 war ein ereignisreicher Abschnitt zu Ende gegangen und eine neue Ära hatte begonnen. Das erste Modul des PC-gesteuerten Echtzeit-Kontrollsystems konnte in Betrieb genommen werden.
    Wir befinden uns in den Räumlichkeiten der Einsatzzentrale der Ärzteflugambulanz, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, im Ausland erkrankte Menschen unter medizinischer Betreuung nach Österreich zurück zu fliegen. In diesem Herzstück der Organisation in Wien werden Tag und Nacht Notrufe aus aller Welt entgegen genommen und bearbeitet. Ambulanzjets werden auf ihren Einsatzflügen überwacht und gesteuert. Große Mengen medizinischer Daten werden verarbeitet.
    Die gesamte Kommunikation zwischen den Berufseinsatzleitern auf der einen Seite und den Piloten, den medizinischen Besatzungen, dem Patienten oder seinen Angehörigen, dem behandelnden Arzt im Ausland, Flugleitstellen, Krankenhäusern und vielen mehr auf der anderen Seite wird sekundengenau dokumentiert und gespeichert. Jeder Schritt in der Einsatzplanung wird elektronisch überwacht und auf seine organisatorische Richtigkeit überprüft.
    Weltweite Kommunikation selbst unter schwierigsten Bedingungen, Datenverarbeitung in Echtzeit und lückenlose Dokumentation, das sind die Voraussetzungen für das reibungslose Funktionieren einer international tätigen Organisation, die Tag für Tag und Nacht für Nacht aufgerufen ist, menschliches Leben zu erhalten und zu bewahren.
    Diesem 21.März 1994 war eine mehr als einjährige Phase der Planung, der logistischen Analyse und der Strukturierung vorangegangen. Was waren nun die Vorgaben? Dazu muß man sich einmal die Komplexizität der Tätigkeit der Ärzteflugambulanz vor Augen führen.

Systemwünsche

Windows NT

Bald schon wurde klar, daß eine elektronische Datenverarbeitung, die alle diese Anforderungen erfüllen sollte, über hochstmögliche Flexibilität und internationale Kompatibilität verfügen mußte. Die Wahl fiel auf ein PC-Netzwerk mit leistungsstarken Arbeitsplatzrechnern und mehreren Bereichsservern. Unter Windows NT konnte die geforderte Flexibilität und Transparenz für den Anwender ebenso, wie höchste Datenverfügbarkeit und -sicherheit erreicht werden.

Automatisch Wählen

In der Folge wurden dann alle Arbeitsplätze mit Wahlhilfe-Interfaces bestückt und so der automatisierte Verbindungsaufbau aus den verschiedenen Programmen heraus realisiert. Mit dem Vermeiden des "händischen Wählens" ist es nun möglich, jede Verbindung zeitlich, nach der Zielnummer und gebührentechnisch zu erfassen, ohne den Einsatzleiter mit der Eingabe dieser Daten zu belasten.
    Über eine weitere Schnittstelle zwischen Telefonanlage und EDV werden Notrufgespräche akustisch aufgezeichnet und als "file" zum entsprechenden Fall abgelegt. Ebenso wird zur lückenlosen Dokumentation auch jeder im Einsatzablauf verfaßte Text (Fax, Telex, Brief etc.) im Sinne einer programmgesteuerten Dokumentenverwaltung gespeichert, eingehende Schriftstücke (z.B. per Fax einlangende EKG-Kurven) werden gescannt und ebenso der Dokumentenverwaltung zugeführt.
    Zur besseren Bedienbarkeit verfügt jeder Arbeitsplatz über ein Headset (Kopfhörer und Mikrofon), so daß der Einsatzleiter beide Hände frei hat zur EDV-Eingabe synchron mit dem aktuellen Gespräch. Dadurch wurde erreicht, daß jede Information sofort an allen Arbeitsplätzen verfügbar ist.

Fliegendes Personal

Die Resourcenplanung machte ein umfangreiches Datenbankdesign notwendig. So greift die Ärzteflugambulanz auf ein Team von etwa 80 speziell ausgebildeten Fachärzten und 12 diplomierten Intensiv-Krankenschwestern und Pfleger zurück. Dieses "fliegende Personal" ist entsprechend einer Bereitschaftsplanung über Pager erreichbar.
    In der Datenbank sind nun zu jeder Person auch die Fachrichtung, Fremdsprachenkenntnisse und die zeitliche Verfügbarkeit gespeichert. Jeder Patiententransport wird von einem dieser Ärzte und einer/m Intensiv-Schwester/Pfleger begleitet. Will nun der Einsatzleiter die geeignete Crew zusammenstellen, so gibt er lediglich die geforderte Fachrichtung, die Landessprache und den Zeitrahmen des Einsatzes ein und bekommt augenblicklich eine Auswahl der dafür geeigneten und verfügbaren medizinischen Mannschaft. Die Pager-Aktivierung erfolgt selbstverständlich automatisch.
    Ähnlich funktioniert das auch bei den Berufspiloten. Zur raschen Kontaktaufnahme sind sie alle mit Mobiltelefonen (D- und E-Netz) ausgerüstet.
    Um die optimale Flugroute zu finden, ist es notwendig, immer am aktuellen Stand der flugtechnischen Bedingungen zu sein. Ein regelmäßiges Update-Service der weltweiten Jeppesen-Datenbank liefert Informationen über jeden anfliegbaren Flugplatz, technische Daten, Zoll, Treibstoff, Öffnungszeiten, die Flugstraßen, Waypoints (VORs, NDBs, Intersections, Sperrgebiete u.v.m.), und das Planungsprogramm optimiert die Strecke, die Flughöhe, plant Tankstops und ermöglicht eine rasche und effiziente Abwicklung.

Flugpläne

In die Kommunikation eingebundene flugspezifische Datennetze wie AFTN und SITA übermitteln die so erstellten Flugpläne an alle betroffenen Flugbehörden und dienen zur raschen Erlangung der Überflugs- und Landegenehmigungen. Über Modem ist der Zugriff auf internationale Wetter-Datenbanken möglich und somit kann die Flugwetterlage bereits in die Planung mit einbezogen werden. Das bedeutet zusätzliche Sicherheit und Schonung für den Patienten, können doch turbulente Gebiete um- oder überflogen werden.

Fliegerei und Medizin

Hier werden beide Bereiche zu einem sinnvollen und höchst effizienten Ganzen gefügt. Für ihre Mitglieder speichert die Ärzteflugambulanz auf Wunsch auch deren medizinische Daten wie Blutgruppe, Allergien, Risikofaktoren und ähnliches. Im Notfall steht diese Information unverzüglich zur Verfügung.

Dokumentation

Die Krankengeschichte wird von der ersten Verständigung an genauestens dokumentiert und um diese Vorinformationen erweitert. Manches Mal konnte so schon vor dem Flug eine lebensrettende Maßnahme eingeleitet werden. In der Zeit zwischen der Erstmeldung und dem Eintreffen der Einsatzcrew beim Patienten wird jeder Auslandsbefund registriert, Trends werden beobachtet und der ehestmögliche Transportzeitpunkt festgelegt. Die aktuellsten Laborbefunde und Untersuchungsergebnisse werden laufend auch wärend des Anfluges an die Einsatzcrew übermittelt. So können an Bord schon detailliert Vorbereitungen für eine reibungslose Übernahme des Patienten getroffen werden.

Zeitsteuerprogramm

Über das spezielle Zeitsteuerungsprogramm ist der Einsatzleiter in der Lage, die Mission präzise zu planen und deren Abwicklung permanent zu überwachen. Die Zeitverschiebungen werden hierbei ebenso berücksichtigt wie etwaige Änderungen im Ablauf.
    Alle verknüpften Aktionen, wie bodengebundener Zu- und Abtransport des Patienten zum und vom Flughafen, die Bereitstellung des Krankenhausbettes und die Vorbereitung der Therapiemaßnahmen am Zielort werden übersichtlich dargestellt und auf ihren zeitlichen Ablauf überwacht.
    Dazu sind die einzelnen Programme über zahlreiche Schnittstellen miteinander verknüpft und aktualisieren sich wechselseitig. Ein ausgefeiltes System von Prüfvorgängen und Checklisten verhindert eine Fehlplanung ohne zeitlich aufzuhalten und ermöglicht so, daß es für die "fliegende Intensivstation" der Ärzteflugambulanz bereits ein bis zwei Stunden(!) nach Einlangen des Notrufes heißt: "cleared for take off"...
    Die Ärzteflugambulanz kann auf 120.000 Mitglieder verweisen, die sich für diesen besonderen Reiseschutz entschieden haben. Wahrscheinlich wissen nur wenige unter ihnen, welch enormer professioneller Aufwand hinter einer einzigen Heimholung steckt.

GF


Was nun an Bord passiert, wie die weltweite Kommunikation ausieht und wie die medizinischen Daten ausgewertet werden, erfahren Sie im nächsten Heft. (>>)




MOBILE TIMES Home Letzte Überarbeitung: Montag, 18. Juni 2007
Text © 1995 by Mobile Times; HTML © 2000-2007 by Mobile Times
Valid HTML 4.01!