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Die Bangemann-Herausforderung

In wenige Städte werden größere Erwartungen gesetzt als in wenn es um Telekommunikation geht als in Schwedens Hauptstadt. Vor einhundert Jahren hatte Stockholm schon mehr Telekommunikation als die Weltstädte London, Paris und Berlin zusammen.


Im Zeitalter der Informationstechnik hat jeder fünfte Einwohner Stockholms ein Mobiltelefon. Der PC Markt wächst schneller als anderwso in Europa und die Stadt mit der höchsten Anzahl von Internet-Benutzern pro Kopf heißt Stockholm.
    Derzeit wird das Breitbandnetz erweitert, um die sprunghaft ansteigende Nachfrage zu befriedigen. Gleichzeitig fordert Stockholm andere europäische Städte zu einem größeren IT-Wettbewerb heraus, der unter dem Namen "Die Bangemann-Herausforderung" läuft.
    Durch die 1993 erfolgte Deregulierung des Telekommunikationsmarkts wurde Stockholm tonangebend und schaffte in einem frühen Stadium attraktive Marktbedingungen für in- und ausländische Wettbewerber.
    Zwei Jahre später liegt Stockholm nur noch hinter London, was die Anzahl von Netzbetreibern betrifft. Niedrige Telefongebühren und gut entwickelte Telefonnetze machen Stockholm zu einem attraktiven Ort für Unternehmen, die sich in Europa etablieren wollen. Dies gilt sowohl für Telekommunikations- und IT-Unternehmen als auch für andere Arten von Firmen.
    Wenn es um Telekommunikation und IT geht, ist Stockholm derzeit das Aussichtsfenster auf die Zukunft Europas. Hier bekommen die Innovatoren des Sektors einen Vorgeschmack auf das, was sie auf dem europäischen Markt von morgen erwartet. Stockholm ergreift jetzt neue Initiativen, um seine Position als eine der führenden IT-Städte Europas zu halten.

Gemeinsames Kabelnetz

Die Gründung von Stokab, einer unabhängigen Firma, deren Ziel die Versorgung von Telekommunikationsbetreibern mit Netzkapazität ist, gewährleistet die Bereitstellung von faseroptischen Kabeln für alle Betreiber auf dem Markt.
    "Unser Geschäft basiert auf einem einfachen Konzept, und zwar der Verlegung von Kabeln und Vermietung von Lichtwellenleitern," erklärt Anders Comstedt, der Geschäftsführer des Unternehmens.
    Der Unterschied zwischen Stockholm und London, wo der Telekom-Markt auch dereguliert wurde, liegt darin, daß für den einzelnen Betreiber in Stockholm nicht die Notwendigkeit besteht, seine eigenen Kabel zu verlegen. Dafür sorgt Stokab, das Netzkapazität an Interessenten vermietet.
    "Dadurch, daß wir uns um Management und Wartung des Netzes kümmern, können die Betreiber erheblich sparen. Anstatt Straßen aufzureißen und ihre eigenen Kabel zu verlegen, können sie sich auf die Entwicklung der Dienstleistungen für ihre Kunden konzentrieren. Wie sich die technische Seite der Dienste abspielt, ist unsere Sache", erklärt Anders Comstedt.

Niedrigere Kosten - Weniger Chaos

Durch das Verlegen der Kabel in vorhandenen Tunneln für U-Bahn, Wasser, Strom usw. spart Stokab seiner Kundschaft Zeit und Geld, ganz abgesehen davon, daß es Stockholm zu einem schöneren Aufenthaltsort macht.
    "Für den Betreiber ist das preiswerter und praktischer, und den Leuten in Stockholm werden Straßenarbeiten und Verkehrschaos erspart, wenn ein neuer Betreiber auf den Markt kommen will", erklärt Anders Comstedt.
    Im Gegensatz zum staatlichen Betreiber Telia, der nahezu ein Monopol in Schweden hatte, steht Stokab nicht im Wettbewerb mit Einnahmen aus der Benutzung des Netzes.
    "Wir vermieten Faserkapazität zu wettbewerbsfähigen Bedingungen. Anschließend liegt es am Betreiber, was er seinen Kunden für die Benutzung des Netzes berechnet", sagt Comstedt.
    "Es geht darum, daß Stokab nicht mit seinen eigenen Kunden im Wettbewerb um die effektive Telekommunikationsbenutzung steht, was bei Telia der Fall wäre, wenn es anderen Betreibern den Anschluß an sein Netz erlaubte.

Herausforderung an andere Städte

Deregulierung und erhöhter Wettbewerb haben die ohnehin schon niedrigen Telekommunikationsgebühren in der schwedischen Hauptstadt reduziert. Dadurch wurde Stockholm zu einem attraktiven Ort für ausländische Unternehmen. Der Stadtrat ist der Ansicht, daß die fortlaufende Erweiterung der Breitbandkapazität noch weiter die Position Stockholms als führende IT-Hauptstadt Europas festigen wird.
    "Wir haben bereits ein IT-Klima, das ohnegleichen in ganz Europa ist. Jetzt muß nur noch das restliche Europa auf das gleiche Gleis gebracht werden", sagt Mats Huth, der Bürgermeister von Stockholm.
    Aus diesem Grunde hat er europäische Städte mit mehr als 400 000 Einwohnern aufgefordert, an einem größeren IT-Wettbewerb, der "Bangemann-Herausforderung", teilzunehmen. Der Wettbewerb gibt 63 Städten in 13 Ländern die Gelegenheit, Stockholm in zehn verschiedenen Wettbewerbskategorien herauszufordern. Der Erste Preis ist ein Freiplatz auf der 1997er Stockholmer Ausstellung, eine große interaktive Ausstellung über die Gesellschaft von morgen.
    Die Ausstellung dauert über drei Monate im Sommer 1997 und sollte erwartungsgemäß über eine Million Besucher anziehen. Mit dem Thema der "menschlischen Schöpfung", unternehmen Industrie und Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft eine Reise in die Zukunft.

Neue industrielle Revolution

Der Ausgangspunkt der Bangemann-Herausforderung ist ein Bericht über die europäische Informations-Gesellschaft, dessen Erstellung auf die Initiative von Martin Bangemann zurückgeht, der in der EU-Kommission für den IT-Bereich zuständig ist. In dem Bericht wird eine umfangreiche IT-Strategie formuliert, die den freien Wettbewerb durch Regierungen sichern soll, während der Markt die treibende Kraft für die Entwicklung ist. Der Bericht führt eine Reihe von konkreten Zielen und Empfehlungen bezüglich Maßnahmen zur Schaffung einer modernen IT-Gesellschaft in Europa auf. Die statistischen Maßnahmen konzentrieren sich auf zehn Schlüsselbereiche (siehe Kasten) und wurden auf der EU-Gipfelkonferenz auf Korfu im Sommer 1994 akzeptiert.
    Was hinter dem Bangemann-Bericht steckt, ist die rapide Entwicklung der IT in den letzten Jahren. Aus ihr entsprang eine Industrierevolution, deren Bedeutung mit dem Einzug von Elektrizität in den Fabriken zu Beginn dieses Jahrhunderts zu vergleichen ist.
    IT wird als eine Flutwelle beschrieben, die sich mit voller Kraft über dem europäischen Kontinent erhebt. Diejenigen, die rechtzeitig das Trockene erreichen, erwarten enorme Möglichkeiten, aber diejenigen, die es nicht tun, gehen das Risiko ein, große Investitionen und gleichzeitig Arbeitschancen zu verlieren. Die Botschaft des Berichts ist eine Ermahnung, daß Europa seine Kräfte koordinieren muß, um das Potential der Informationstechnik besser auszuschöpfen.

Europa gerät ins Hintertreffen

Im Vergleich zu den USA, wo ein großer homogener Markt die Entwicklung vorantreibt, ist unser Kontinent auf dem IT-Gebiet ins Hintertreffen geraten. 1994 hatte im Durchschnitt jeder dritte Amerikaner einen PC; im Vergleich zu nur jedem zehnten Europäer. 60 Prozent aller amerikanischen Haushalte haben Kabel-TV mit Text- und Daten-Services. Der europäische Durchschnitt lag bei 25 Prozent und variierte erheblich von einem Land zum anderen.
    Eine Erklärung für den Unterschied ist der Umstand, daß die vielen Sprachen und Kulturen in Europa Speziallösungen verlangten. Ein anderer liegt in politischen Erwägungen begründet, die immer noch in umfangreichem Maße den europäischen Telekommunikationssektor beeinflussen.
    Durch die Aufforderung an andere Städte zu einem Wettbewerb, ergreift Stockholm wieder einmal die Initiative, wenn es um IT geht. Die Skandinavier hoffen, daß sie durch diesen Schritt die Realisierung der Empfehlungen vorantreiben können, die gemeinsam von den EU-Ländern im Bangemann-Bericht unterstützt werden.
    Für den Bürgermeister der IT-Metropolis, Mats Hulth, ist der Wettbewerb vor allem ein Katalysator: "Durch Herausforderung anderer Städte können wir neue Kontakte herstellen und neue Erfahrungen machen. Aus diesem Grunde ist es wichtiger teilzunehmen als zu gewinnen. Der Prozeß selbst schafft eine positive Entwicklung, die allen in Europa zum Nutzen ist."

Alle gewinnen

Um Neujahr 1997 herum werden zehn Sieger von einem Expertenausschuß aus Vertretern der akademischen Welt, der Informationstechnik und der Europäischen Kommission gewählt.
    Stockholms Leistungen plazieren die Stadt als Favoriten in verschiedenen Kategorien. Gleichzeitig zeigt die Erfahrung, daß alles in der Informationstechnik möglich ist, besonders, wenn Entwicklungen mit der gleichen Schnelligkeit wie bisher weitergehen. Europas Zukunft steht auf dem Spiel. Der Gang auf die IT-Gesellschaft zu wird durch die Bangemann-Herausforderung beschleunigt.
    Am Ende gewinnen wir alle.

Claus Grue


Die Herausfordrung

Der Bangemann-Bericht "Europa und die globale Informations-Gesellschaft" formuliert konkrete Ziele und Empfehlungen für Maßnahmen in den nachstehenden 10 Schlüsselbereichen:
    -- Telearbeit (Teleworking)
    -- Fernstudium (Distance learning)
    -- Universitätsnetzwerke (University networks)
    -- Telematik für kleine und mittlere Unternehmen (Telematics for SMEs - Small and Medium-Sized Enterprises)
    -- Straßenverkehrsmanagement (Road traffic management)
    -- Flugverkehrskontrolle/Flugsicherung (Air traffic control)
    -- Gesundheitsfürsorge-Netzwerke (Healthcare networks)
    -- Elektronische Angebotsabgabe (Electronic tendering)
    -- Öffentliche Verwaltung (Public administration)
    -- Stadtinformationsnetz (City information highway)
    Jeder der obigen Bereiche ist eine Kategorie in der Bangemann-Herausforderung, ein Wettbewerb, der von Europas führender IT-Stadt, Stockholm, organisiert wird.




MOBILE TIMES Home Letzte Überarbeitung: Montag, 25. Juni 2007
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