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Artikel aus Mobile Times 16

Kalter Norden, Heiße Handys

Finnland ist anders, obwohl das hierzulande wenig bekannt ist. Bis 1918 russische Provinz, dann ein Unabhängigkeitskampf gegen die neu entstehende Sowjet-Union, dann der finnisch-sowjetische Winterkrieg und dennoch ein Industriewunder, wie wir es uns hierzulande manchmal wünschen.


Gleich vorneweg, die Erklärung warum Schrack oder Kapsch nicht Finnland mit Handys beliefern, statt umgekehrt, habe ich nicht gefunden. Wohl aber ein faszinierendes Land in dem ein interessantes Unternehmen daheim ist, das für die GSM-Entwicklung eine mehr als führende Rolle gespielt hat: immerhin wurde das erste GSM-Netz der Welt, das der finnischen Radiolinja, von Nokia gebaut.

Die Geschichte

Im Jahre 1865 wurde in Südwest-Finnland vom Bergbauingenieur Fredrik Idestam ein holzverarbeitender Betrieb gegründet. An einem anderen Ort entstanden 1898 die finnischen Gummifabriken und 1912 begannen die finnischen Kabelwerke mit ihrer Produktion. Der Kapitalismus nahm seinen Lauf und das Eigentum an diesen unterschiedlichen Unternehmen wanderte in immer weniger Hände, bis im Jahre 1967 die drei Firmen zur Nokia Corporation verschmolzen wurden.

Damit war Nokia ein klassiches Industriekonglomerat, das neben Holz und Gummi bald auch Plastik und Metall in seinem Portfolio hatte. 1982 kam auch noch Chemie dazu und mit dem Erwerb von Mobira, Salora, Luxor usw. kam auch noch die Unterhaltungselektronik in den Konzern. Es würde hier zu weit führen, alle Firmenkäufe, die die Finnen in der Heimat und in Europa durchführten, aufzuzählen.

Ende der 80iger und Anfang der 90iger Jahre kam eine totale Umstrukturierung. Man kann sagen, daß sich Nokia damals von seinen Wurzeln komplett getrennt hat und als völlig neues Unternehmen auf den Markt trat. Telekommunikation ist jetzt das Kerngeschäft und der Konzern, der einst Gummistiefel, Autoreifen, Kabel oder Fernseher liefern konnte, besteht heute aus zwei Business Gruppen: Nokia Telecommunications und Nokia Mobile Phones. Dazu kommen noch zwei unabhängige Divisionen: Nokia Multimedia Network Terminals und Nokia Industrial Electronics. Die Entwicklung und Forschung wird als eigenes Nokia Research Center geführt.

Telecom-Leader

Der Übergang von der Holzsäge zum Mobiltelephon war allerdings nicht ganz so abrupt, denn schon 1981 baute Nokia das erste Autotelephon für den skandinavischen NMT-Standard und 1984 das weltweit erste portable Telephon, das damals aber eher ein Handkoffer war. Sogar bei ISDN war Nokia Erster und baute 1988 das erste CCITT-konforme ISDN-Wählamt. Überspringen wir die weiteren "firsts" von Nokia und gehen wir direkt zu GSM.

GSM-Starter

Unser Global System for Mobile Communication ist eine ziemlich junge Angelegenheit: 1991 wurde das erste GSM-Netz der Welt, das der finnischen Radiolinja natürlich von der finnischen Nokia geliefert worden war, in Betrieb genommen. Damit kann Nokia mit Recht immer von sich behaupten, der älteste und erfahrenste GSM-Netz-Bauer der Welt zu sein. Vor allem aber hat man sich bemüht, auch weiter vorne mit dabei zu sein, denn auch das erste SMS-Center der Welt wurde 1993 von Nokia eingerichtet. Diesmal für die schwedische Europolitan und auch bei DCS/GSM 1800 war Nokia von Anfang an als Lieferant dabei.

Daß die Zukunft der Mobiltelephonie eng mit Nokia verknüpft bleibt, zeigen auch Ereignisse wie das erste Gespräch über Inmarsat-Satelliten mit einem GSM-Handy 1994, die Einführung der Nokia Data Card im gleichen Jahr und die Präsentation des Communicators 1996.

Man sieht, daß das Unternehmen, das - wer hätte das geahnt - 1934 den Winterreifen erfunden hat, seither kaum nachgelassen hat.

Aus erster Hand

Es ist natürlich klar, daß Vertreter von Nokia auch maßgeblich bei der Standardisierung beim European Telecommunications Standards Institute mitarbeiten und so wurde von MOBILE TIMES natürlich die Chance genutzt, zu hören, was denn so in der nächsten Zeit zu erwarten ist.

Kaj G. Linden gab die nötigen Informationen, die tatsächlich aus erster Hand stammen. Vor allem interessierte uns natürlich die Arbeit an der Phase 2+, die nur deshalb so heißt, weil man irgendwann beschlossen hat, daß GSM in zwei Phasen entwickelt werden soll.

Linden konnte alleine 80 Überschriften aufzählen, was sich in Phase 2+ noch alles verändern wird. Vieles davon ist für den Endanwender nicht direkt sichtbar, weil es der Signalisierung zwischen den Netzbetreibern dient. Aber einiges von dem, was noch kommen wird, betrifft auch direkt die Anwender, wobei aber schon in Phase 2 sichergestellt wurde, daß zwischen den einzelnen Phasen volle Kompatibilität herrschen soll. Das heißt, daß man sein altes Handy so lange verwenden kann, wie das Netz existiert. Nur die neuen Dienste kann man natürlich mit einem Endgerät, das dafür nicht gebaut ist, selbstverständlich nicht nutzen.

Die Phase 2+

Für viele Anwender wird die Erhöhung der Geschwindigkeit bei der Datenübertragung von den bisherigen 9,6 auf 14,4 kbps interessant sein.

Die Einführung eines GPRS (General Packet Radio Service) macht GSM für Unternehmen auch in Bereichen interessant, an die heute noch gar niemand denkt.

Auch die Verbesserungen bei der Calling Line Identification, wozu auch gehört, daß man auch den Namen mit der eigenen Nummer mitsenden und damit am Display des Angerufenen erscheinen lassen kann, auch wenn man nicht in seinem Telephonbuch gelistet ist, hat sofort erkennbaren praktischen Wert.

Der DECT-Zugang zu GSM-Netzen wird quasi Roaming zwischen der eigenen Hausanlage und dem öffentlichen GSM-Netz ermöglichen.

Die Weiterleitung von SMS wird ebenfalls mit Phase 2+ Systemen möglich werden und GSM/ AMPS-Roaming bringt vor allem für USA-Reisende , aber auch für Amerikaner in Europa interessante Perspektiven.

Was aber im internationalen Verkehr - vorausgesetzt die Netzbetreiber spielen mit - eine erhebliche Kostenersparnis brigen sollte, ist die Einführung des Optimal Routing.

Bisher ist es ja bekanntlich so, wenn ein Österreicher , der sich gerade in Frankreich aufhält, einen anderen Österreicher, der ebenfalls gerade durch Frankreich reist, am Handy anruft, dann geht sein Ruf zuerst nach Österreich und vor dort wieder nach Frankreich. Vereinfacht zahlt derzeit der Anrufer ein Ferngespräch von Frankreich nach Österreich und der Angerufene zahlt ein Gespräch von Österreich nach Frankreich. Das ist nicht nur deshalb so, weil die Netzbetreiber viel Geld verdienen wollen, sondern weil die technischen Voraussetzungen für das "optimal routing" - also die direkte Verbindung der beiden in Frankreich roamenden Handys - derzeit noch nicht gegeben sind. Mit Phase 2+ wird sich das radikal ändern. Im Idealfall bedeutet das dann, daß sich die einzelnen GSM-Netze gegenüber dem Teilnehmer wie ein Netz verhalten, das seinem Kunden eben die Gebühr für die kürzeste Strecke verrechnet.

Es sind rund achtzig Punkte in denen GSM in der Phase 2+ noch verbessert werden soll, denn dann soll nach dem Willen von ETSI UMTS, das Universal Mobile telephone System kommen, das aber auf GSM-Technologie aufsetzt und bestehende Netzwerke nutzen kann.

Finnischer Frühling

Man wird nicht von Nokia nach Finnland verfrachtet, nur um dort im modernen Glaspalast des Konzerns Vorträge über GSM im allgemeinen und Nokia im besonderen zu hören. Bei Nokia gehört auch ein wenig Abenteuer dazu und so verfrachtete man die ganze Journalistenschar nach Norden in die Nähe des Kreuzworträtsel-bekannten Inare-Sees.

Am Flughafen in Ivalo nahm man uns das Gepäck ab und setzte uns auf Motorschlitten. Das Hotel ist etwa 50 Kilometer entfernt, hieß es, und so war es dann auch. Der Schnee lag noch ungefähr einen Meter hoch, die Finnen sausten auf ihren Motorschlitten mit mehr als hundert Sachen an uns vorbei, während wir ängstlichen Anfänger meist mit dreißig bis vierzig dahinzuckelten. Ihr Berichterstatter hat zwar schon ein klein wenig Motorschlittenübung, doch ein Ausbrechen aus der Kolonne wäre vor allem wegen der Unkenntnis des Weges ziemlich nutzlos gewesen. Quer durch die tief verschneiten finnischen Wälder ging es Stunde um Stunde, bis wir dann die Blockhüttensiedlung Kakkslautannen erreichten, wo es nicht nur Standard-und Rauch-.Sauna zu genießen gab.

Nordeuropa ohne Hundeschlitten kann sich bei uns kaum jemand vorstellen, dabei wurde dieses Transportmittel eigentlich nur für die Touristen eingeführt. Daher - jetzt waren wir Touristen - mußten wir auch mit Hundeschlitten fahren. Nein, nicht drinnen sitzen, selber fahren. Hinten auf dem Hundeschlitten stehen und beobachten, was die hechelnden Huskies so eigentlich tun, denn als Laie hat man ohnehin nicht viel mehr Möglichkeiten als die Tiere laufen zu lassen, die den Weg ja kennen, oder den Bremsklotz in den Boden zu rammen und sie zu stoppen.

Rentier und Polarkrabbe

Man sollte sich einen Urlaub im Frühling im Norden Finnlands durchaus überlegen, denn es gibt auch eine ganze Menge anderer interessanter Erfahrungen, die man dort machen kann.

Rentier, am Spieß gebraten ist tatsächlich eine Delikatesse und eine Polarkrabbe muß man alleine schon wegen ihrere Dimensionen gesehen haben.

Für Saunierer - ich gestehe, ich bin keiner - könnte auch die finnische Rauchsauna ein wirklich interessantes Erlebnis sein, denn das Erlebnis soll sich von einer normalen Sauna doch deutlich unterscheiden.

Als Alpenbewohner kann man aber auch sein geradezu patriotisches Erfolgerlebnis haben, denn schließlich haben wir ja auch Schutzhütten und so konnte ich stolz jeden Abend meinem finnischen Zimmerkollegen, der sich am ersten Tag vergeblich selbst bemüht hatte, ein prasselndes Lagerfeuer im gemauerten offenen Kamin bieten.

Empfangsbericht

Natürlich ist MOBILE TIMES nie ohne Handy unterwegs. Diesmal waren es sogar zwei - zum Glück für andere, deren Handy mangels mitgenommenen Ladegerät nach etwa drei Tagen nicht mehr wollte.

Macht nichts - auch mit einem Handy konnte man feststellen, daß die Verbindung aus der "Wildnis" durchaus zufriedenstellend war. Aber weitab menschlicher Behausungen gab es sogar im Heimatland von GSM ganz veritable Funklöcher.

Franz A. Köttl




MOBILE TIMES Home Letzte Überarbeitung: Montag, 10. Februar 2003
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