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Artikel aus Mobile Times 20

PHS & PDC

Japans digitale Netze

Immer wieder taucht die Frage auf, warum Japan eigentlich noch immer kein GSM-Netz hat, obwohl es doch technisch so hoch entwickelt ist. Die Antwort ist verblüffend einfach: genau deshalb.

Als die Entwicklung digitaler Mobiltelephonnetze einsetzte, hatte eigentlich niemand das Know-how. Der Vorsprung der Europäer war vor allem ein Vorsprung der Skandinavier, die mit ihrem analogen NMT bereits Roaming beherrschten und - so seltsam es klingen mag - die Tatsache, daß Europa aus so vielen Staaten besteht.

Die Japaner hatten ihr digitales Mobilfunknetz etwa gleichzeitig mit den Europäern fertig, nur die Europäer hatten bereits ihre Roamingverträge untereinander praktisch in der Tasche, und das war ein so schlagkräftiges Argument, daß die Japaner auf ihrem System mehr oder weniger sitzen blieben. Spätere Versuche, eine Art Gegen-MoU zu errichten, blieben erfolglos.

In Japan hat man aber gelernt und für die Entwicklung der nächsten Generation daraus die Lehre gezogen. Doch davon später.

Die japanische Struktur

Die Wünsche unserer Leser ließen uns einen genaueren Blick auf Japan werfen. Unsere Informationsquelle dabei war Shinya Tanaka vom DoCoMo Forschungszentrum.

Japans Netzbetreiber nennt sich NTT (Nippon Telephone & Telegraph) und dieser hat eine Tochterfirma NTT Mobile Communications Network ("NTT DoCoMo").

DoCoMo hat wieder eine Reihe von regionalen Tochtergesellschaften, die das Mobiltelephongeschäft regional betreiben und ein gewisses Maß an Unabhängigkeit genießen.

Die japanischen Systeme

Derzeit gibt es in Japan zwei digitale Mobiltelephonsysteme: PDC und PHS. PDC steht für Personal Digital Cellular und PHS ist die Abkürzung für Personal Handyphone System.

PDC wurde zuerst im März 1993 im 800-MHz-Band eingeführt. Schon im April 1994 folgte dann eine Variante im 1500-MHz-Band (1,5 Gigahertz). Heute hat das PDC-System in Japan rund 20 Millionen Teilnehmer, wobei die Bevölkerungs-Coverage 98 Prozent beträgt.

Weil PDC einige Nachteile im Bezug auf die Kapaziät aber auch hinsichtlich von Hochgeschwindigkeitsdatenübertragung hat, wurde ein zweites System namens PHS eingeführt, das sich im 1900-MHz-Bereich bewegt.

Dieses System hat zwar bei weitem nicht die Coverage des PDC, aber dafür funktioniert es auch im Haus und sogar unterirdisch (in U-Bahnen und Kellern) laut Tanaka sehr gut. Es hat derzeit sieben Millionen Teilnehmer. Einen Grund für diese hohe Teilnehmerzahl trotz fehlender Flächendeckung sieht Tanaka vor allem darin, daß die Gebühren für PHS niedriger sind als für PDC.

Nachteilig ist natürlich, daß beide Systeme sozusagen geschlossene Benutzergruppen für Japan sind und mit keinem System außerhalb kompatibel - daher gibt es natürlich auch keine Roamingverträge.

Die nächste Generation

Weil nun Japan bei der ersten digitalen Generation ein vergleichsweises Inseldasein geführt hat und man weiß, daß in der heutigen vernetzten Welt dies durchaus einen Nachteil darstellt, bemüht man sich um so mehr, bei der nächsten Generation vorne mit dabei zu sein.

DoCoMo setzt dabei voll auf W-CDMA, eine Technologie, der auch ETSI bei seiner letzten Entscheidung (siehe MT 19: UTRA: GSM-Nachfolger?) einen wichtigen Platz in der mobilen Kommunikationszukunft einräumt.

Tanaka erläuterte, warum man W-CDMA den Vorzug einräumt damit, daß W-CDMA ein optimales und skalierbares System darstellt, das es erlaubt, je nach Bedarf, dem einzelnen Teilnehmer Bandbreiten zwischen acht Kilobit pro Sekunde und zwei Megabit pro Sekunde zur Verfügung zu stellen, womit man auch für mobile Datenübertragung genügend Kapazität zur Verfügung hat.

Testphase erfolgreich

DoCoMo befindet sich derzeit bereits in einer Phase der Feldversuche und hat auch die Datenübertragung mit zwei Megabit bereits erfolgreich demonstriert. Die nächste Testphase startet dann im Herbst, wenn auch die bereits auf der CeBIT ausgestellten Terminals in die Versuche einbezogen werden und auch Übertragungen zwischen Basisstation und Endgeräten erprobt werden sollen.

Tanaka erwartet, daß man bereits Ende 2000 in Japan in den Regelbetrieb gehen kann. Ziel aber ist natürlich, daß W-CDMA ein Weltstandard wird. Dazu werden viele Kooperationen nötig sein - die ETSI-Abstimmung war aber sicher hilfreich, obwohl noch nicht wirklich entschieden ist, wo die Grenzen zwischen TDMA und W-CDMA liegen werden.

Tanaka glaubt - und hier legt er Wert darauf, daß das eine persönliche Meinung ist - daß es bei den Handys einerseits eine Art W-CDMA light und andererseits Dual-Mode-Geräte geben wird.

In Europa erhofft er sich erste W-CDMA-Netze für das Jahr 2002, wobei er davon ausgeht, daß bis dahin vereinheitlichte Netze möglich sind.

Ein kleines Post Scriptum: Qualcomm, die Erfinder des in den USA derzeit eingesetzten CDMA hat bisher - anders als andere Hersteller und Betreiber, siehe unten - an keinen DoCoMo-Versuchen teilgenommen, weil das Qualcomm-System völlig anders aufgebaut ist.

Allianzen

Die bisherige Entwicklung wurde im wesentlichen von DoCoMo getragen, doch hofft man, daß sich bald mehr Firmen und Netzbetreiber an den Versuchen beteiligen werden.

Kazuo Moriya ist einer der Vizepräsidenten des DoCoMo, die für auswärtige Beziehungen zuständig sind. Er erläuterte uns den gegenwärtigen Stand an der "politischen" Front.

Schon 1996 begann DoCoMo Verträge zu unterzeichnen, die in Summe zu einer Art MoU fürW-CDMA führen sollen. Der erste dieser Verträge wurde im April 1996 mit SK Telecom (Korea) abgeschlossen. Es folgte im Juli 1997 PT Telecom (Indonesien), im September 1997 Nippon Telecom und im Oktober 1997 mit Telecom Italia Mobile der erste europäische Betreiber. Es folgten Singtel Mobile (Singapur), Telecom Finland (Finnland) und Smart Communications (Philippinen). Kurz vor der CeBIT konnte man einen Vertrag mit TOT (Thailand) abschließen, mit der malaysischen und der Hongkong Telecom war der April als Unterzeichnungsdatum geplant und mit der Volksrepublik China ist ein MoU in Ausarbeitung.

Man geht es diesmal wirklich viel politischer an, als das letzte Mal, wo man nur "technisch" argumentierte, und hat daher einer Reihe weiterer Netzbetreiber und Regierungen eine Einladung zum Mitmachen übermittelt:

Asien
Binariang (Malaysia)
China Telecom
Telecom-Ministerium (Indien)
Essar (Indien)
Hutchison Telecom (China)
Singapur Telecom
Telecom Corp. of New Zealand
Telecom Malaysia Berhad
Ozeanien
Telstra (Australien)
Europa
British Telecom
Cellnet (Großbritannien)
Cable & Wireless (Großbritannien)
France Telecom (Frankreich)
Mannesmann Mobilfunk (Deutschland)
Mobilkom (Österreich)
Orange (Großbritannien)
PTT Telecom (Niederlande)
Swisscom (Schweiz)
Telefonica de España (Spanien)
Telecom Italia
Telia (Schweden)
Vodafone (Großbritannien)
Nordamerika
AT&T Wireless (USA)
Bell Mobility (Kanada)

Bei der Mobilkom erklärte man uns übrigens, daß man bereits Interesse nach Japan "signalisiert" habe.

Wie Moriya weiter ausführt, kann DoCoMo natürlich nicht die ganze Entwicklung alleine machen und muß sich selbstverständlich von Herstellern helfen lassen. Daher hat man von Anfang an zehn Hersteller ausgewählt, die die Komponenten für die Versuche zu liefern haben. Es sind dies: Lucent und Motorola aus den USA, Fujitsu, Matsushita Communication, Mitsubishi Electric, NEC, Sharp und Toshiba aus Japan, sowie die europäischen Hersteller Nokia und Ericsson.

Wer sich jetzt daran erinnert, welche europäischen Hersteller bei der ETSI-Entscheidung ganz vehement für W-CDMA waren - es waren natürlich Ericsson und Nokia -, weiß jetzt auch warum zum Beispiel Siemens andere Vorstellungen hatte.

Zurück zu den DoCoMo-Plänen. Für 2002 haben laut Moriya Korea und Japan einen gemeinsamen Traum: anläßlich der Fußball-Weltmeisterschaft soll das W-CDMA-System stehen und in Betrieb sein.

Noch mehr japanische Mobilität

Die mobile Geschichte von NTT - wir lassen jetzt die verschiedenen gesellschaftsrechtlichen Veränderungen weg - begann schon im Mai 1959 mit dem ersten seetauglichen Telephon. Erst 1968 wurde dann Paging eingeführt.

Seit Dezember 1979 gab es Autotelephone und ab Mai 1996 wurden öffentliche Telephone in Flugzeugen eingeführt. Die eigentliche Mobiltelephonie - damals natürlich noch analog - kam ab April 1987 nach Japan. Die digitale Telephonie (PDC und PHS) haben wir schon weiter oben behandelt.

Derzeit bietet NTT neben den beiden genannten digitalen Mobiltelephon-Standards PDC und PHS auch Paging-Services auf Basis des von Motorola promoteten FLEX-Standards an. Highlight am Rande: seit Juli 1996 gibt es "INFONEXT" Pager, die auch japanische Zeichen (Kanji) empfangen und darstellen können.

Satellitenkommunikation erfolgt in Japan über den N-STAR-Satelliten, der alle Regionen des Landes "bestrahlen" kann und auch für die maritime Telephonie eingesetzt wird.

Unter der Bezeichnung "Passage" gibt es seit 1994 ein kombiniertes System, das auf drahtlosem Weg die Datenübertragung von bis zu 32 Kilobit pro Sekunden ermöglicht.

Mobile Computing

DoCoMo entwickelt auch Applikationen und Services sowie PDAs (Personal Digital Assistent) für mobiles Computing. Zum Beispiel gibt es die "Zehn Yen Mail", mit der man E-Mail von bis zu zweitausend Zeichen für zehn Yen senden oder empfangen kann. Ein Packet Data Service namens "DoPa" ermöglicht eine maximale Übertragungsgeschwindigkeit von 28,8 Kilobit/Sekunde. Die Übertragungskosten werden an der Datenmenge gemessen. "DoPa" sei mit einer großen Zahl von Internet-Protokollen (darunter TCP/IP) kompatibel und eignet sich damit für alles - von der E-Mail bis zum Remote-Zugriff auf LANs.

Schluß

Japan ist nicht wirklich anders - was den Mobilfunk betrifft - und derzeit scheinen die Chancen gut zu stehen, daß Japan nach einer Periode des unfreiwilligen Außenseitertums wieder in die Hauptströmung zurückkehrt.

Franz A. Köttl


Verwendete Abkürzungen

CDMA steht für Code Division Multiple Access und

W-CDMA demgemäß für Wideband-CDMA. Es handelt sich dabei um eine "Pakets-"-Sendetechnik, wobei kleine Informationspakete verschickt werden. Die richtige Reihenfolge und der richtige Empfänger der Pakete werden aufgrund eines Codes, mit dem jedes dieser Informationspakete versehen ist, wieder hergestellt.




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