Startseite : Archiv : Heft 21 : Artikel
Artikel aus Mobile Times 21
Als vor einiger Zeit ein Räuber die Geldwechselstube in Thörl-Maglern überfiel und dann über den unbewachten Grenzübergang nach Italien verschwand, da war der Grund rasch gefunden: wegen Schengen konnte man die Grenze nicht mehr sperren. - Was nicht gesagt wurde: im Schengener Abkommen sind auch technische Mittel vorgesehen, die die grenzüberschreitende Kommunikation in solchen Fällen garantieren sollen. Nur leider haben wir die noch nicht...
Was GSM für die mobile Telephonie geworden ist, soll TETRA für den digitalen Bündelfunk zu werden. Als TETRA vom ETSI normiert wurde, stand TETRA noch für "Trans-European Trunked RAdio system", heute heißt es "Terrestrial Trunked Radio", was auch durchaus vernünftig ist, den inzwischen hat es - wie GSM - den Sprung über die Grenzen des Kontinents geschafft und ist bis Singapur und Australien im Einsatz. Übrigens gibt es seit 1994 auch ein TETRA-MoU, das analog dem GSM-MoU arbeitet.
Gegenüber analogen Systemen bietet TETRA eine doppelt so hohe Ausnutzung des Spektrums. Auch technisch stellt TETRA einen Quantensprung dar, denn im TETRA-System können Endgeräte eines Netzes auch mit Endgeräten eines anderen Netzes zusammenarbeiten. Vor allem aber kann ein offener Kanal betrieben werden. Das heißt, daß ein Kanal beliebig lange einer exklusiven Benutzergruppe zugeordnet werden kann. Alle Mitglieder der Gruppe können auf diesem Kanal hören und sprechen. Auch die direkte Kommunikation zwischen Endgeräten über nicht vom Netz gesteuerte Funkkanäle ist eine spezielle TETRA-Eigenschaft.
Die Spezifikation von TETRA umfaßt im Prinzip drei Elemente: einen Standard für Sprache und Daten (V+D), einen für optimierte Paketdaten (POD) und einen für den Direktmodus (DM) zwischen Endgeräten. Die Hauptelemente der Infrastruktur sind die Funkbasisstationen (RBS - Radio Base Station), die Mobilfunkvermittlungsstelle (MSC - Mobile Switching Centre) und die Netzmanagementzentrale (NMC - Network Management Centre).
Das TETRA-Netz verhält sich wie ein Festkanalsystem, das heißt, daß die Verbindungen zwischen den Teilnehmern permanent bestehen, so daß an einem Gespräch alle mithören können, die dazu berechtigt sind.
Es gibt Prioritätsrufe, die bevorzugt gegenüber anderen wartenden Rufen durchgeschaltet werden. Ein Notruf unterbricht in einem voll belegten System andere Verbindungen, um einen freien Kanal zu bekommen. Teilnehmer, die dazu berechtigt sind, werden zu bereits laufenden Gesprächen automatisch dazu geschaltet, wenn sie beim Aufbau des Gesprächs noch besetzt waren. Erlaubtes Mithören ist im System vorgesehen. Direkte Rufe von Gerät zu Gerät sind ohne Zentrale möglich.
Sprache und Daten können verschlüsselt werden - der gesamte Übertragungsweg wird geschützt und auch eine Überprüfung der Teilnahmeberechtigungen (Authentifikation) kann durchgeführt werden.
Während die primäre Funktion der RBS darin besteht, die Funkverbindungen zwischen dem Netz und den Mobilteilnehmern bereit zu stellen, dient die MSC zur Wegesuche für die Verbindung zwischen mehreren Standorten. Die NMC hat primär eine Überwachungs- und Steuerungsfunktion.
Einige der nur bei TETRA zu findenden Eigenschaften kommen den Interessen von Organisationen wie Polizei, Feuerwehr oder Rettung, welche mit Sicherheitsaufgaben betraut sind, sehr entgegen.
Es ist zwar offensichtlich, daß TETRA für Sicherheitskräfte - die "Blaulicht-Organisationen" - ein optimaler Standard ist - z.B. sind das niederländische Innenministerium, die entsprechende Abteilung der baskischen Regionalverwaltung und das britische Innenministerium Anwender -, doch sollte man die vielen anderen Einsatzmöglichkeiten dabei nicht übersehen.
TETRA ist für Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVU) oder Verkehrsbetriebe genau so interessant. Daher gehören z.B. die Paris Stadtwerke RATP oder die London Underground längst zu den TETRA-Anwendern. Aber auch alle bisherigen Anwender von konventionellen Betriebsfunksystemen sollten über kurz oder lang zu TETRA-Anwendern werden.
Das haben auch schon viele GSM-Betreiber erkannt und sich in diesen Markt begeben. Zu den Beispielen, die wir hier anführen können gehören: die dänische Sonofon, Telia in Schweden, die deutsche T-Mobil und die ungarische Westel.
Praktisch alle in Europa aktiven Funklieferanten - mit Ausnahme von AEG/Matra, die ein proprietäres System namens Tetrapol anbieten - sind dabei: DeTeWe, Ericsson, Frequentis, GEC-Marconi, Italtel, Kenwood, Motorola, Nokia, Rhode & Schwarz, Simoco, Sinclair usw.
In Österreich läuft derzeit die Ausschreibung der EVUs für ein Bündelfunksystem zur Kraftwerksüberwachung. Dabei rechnen sich die TETRA-Anbieter gute Chancen aus. Polizei, Feuerwehr und Rettung müssen wohl noch warten - möglicherweise startet das Innenministerium im Herbst eine Ausschreibung. Bis auf weiteres werden also unsere Freunde und Helfer weder untereinander und schon gar über die Grenze kommunizieren können - außer über GSM-Handys. Kleiner Trost am Rande, in Thörl-Maglern hätte TETRA noch nichts genutzt, denn das System für die Carabinieri ist erst im Bau.
fak
Letzte Überarbeitung: Montag, 10. Februar 2003 Text © 1998 by Mobile Times; HTML © 2001-2003 by Mobile Times |