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Artikel aus Mobile Times 26

Serie GSM (II)

Hellseher-Systeme

In analogen Telephonsystemen wurde einfach ein Ausschnitt des hörbaren Frequenzbereiches übertragen: Man schnitt einfach bei 300 bzw. 3.500 Hertz ab, und alle Töne, die außerhalb dieses Bereiches lagen, wurden nicht mehr übertragen. Das hatte nichts mit Bandbreitenproblemen der Leitungen, sondern mit den Kosten der Ausrüstung für ein gleichmäßiges Verhalten der zwischengeschalteten Filter, Spulen und Verstärker zu tun. Bei digitalen Übertragungen bestehen ganz andere Probleme. Welche das sind und wie man sie löst, erfahren Sie in dieser Folge unserer Serie.


Bekanntlich ist GSM ein digitales System, und das bedeutet, daß eigentlich nur zwei Informationen übertragen werden können: ja oder nein. Sozusagen ein Morsealphabet, das nur aus Punkten und Pausen besteht. Würde jemand ein Musikstück produzieren, das nur aus dem Kammerton A und aus Pausen besteht, so wäre das ein ideales Stück für digitale Übertragung. Man teilt der Gegenstation nur Zeitdaten und Zustandsänderungen mit: Der Computer am anderen Ende kann aus diesen Informationen wieder das ursprüngliche Stück erzeugen.

Ein wenig Mathematik: Wir rechnen im sogenannten Dezimalsystem, für das zehn Ziffern (0 bis 9) benötigt werden. Wollen wir wissen, was eine Zahl 528 eigentlich bedeutet, so müssen wir die Zahl zerlegen, denn im Dezimalsystem bestehen alle Zahlen aus Vielfachen sogenannter Zehnerpotenzen. Eine Zahl wie z.B. 102 bedeutet eine Multiplikation von zwei Zehnern. Mit anderen Worten 102 =100. 101 ist daher tatsächlich 10 und 100 entsprechend der Definition eben 1. Die Zahl 528 kann daher auch als
5×102+2×101+8×100
dargestellt werden. Dieses System ist aber für ein Übertragungsssystem, das nur zwei Zustände darstellen kann, ungeeignet. Daher verwendet man das duale System, das im Prinzip genau so wie das dezimale bzw. dekadische funktioniert. (Dazu unsere Vergleichstabelle für die Werte 1 - 10 links unten.)

Der Unterschied besteht darin, daß die Basis der Wert 2 ist. Weil das System nur aus zwei Ziffern besteht, sieht die Basiszahl im Dualsystem genau so aus wie im dekadischen: 10. Gelegentlich wird auch - um Verwechslungen mit Dezimalzahlen zu vermeiden - statt der "1" ein "L" genommen. Die Basis heißt dann eben L0.

Warum diese komplizierte Mathematik? Nun, die Digitalisierung bedeutet ja zunächst einmal, daß statt der realen Nachricht bzw. Sprache eine Zifferngruppe, welche die Sprache beschreibt, übertragen wird. Um das eingangs erwähnte Beispiel noch einmal zu strapazieren: Es wird nur die Information übertragen, daß es sich um den Kammerton A handelt, und nicht tatsächlich ein Ton mit 440 Schwingungen pro Sekunde.

Wie aus Tönen Zahlen werden

Das grundsätzliche System der Umwandlung von analogen Signalen in digitale ist immer das gleiche: Das analoge Signal wird abgetastet, und dieser Wert wird übertragen. Wie das praktisch aussieht, erkennt man in unserem Bild 1.

Von oben nach unten sieht man zuerst das ursprüngliche Signal, dann idealisiert die Abtastung und die Verwandlung in "Meßpunkte", die übertragen werden. Ganz unten dann die Rückwandlung in ein analoges Signal. Es ist leicht einzusehen, daß in diesem theoretischen Beispiel nur der Abstand des Punktes von der Grundlinie als Zahl übertragen werden muß - der Zeitabstand der Punkte ist ja bekannt und braucht daher nicht übertragen zu werden. Bei GSM werden 20 Millisekunden lange "Muster" genommen, die jeweils in 260 Bits codiert werden.

Das ist aber nur ein Teil der Gesamtaktion. Bei drahtgebundener Übertragung, bei der ja theoretisch unbegrenzte Bandbreiten zur Verfügung stehen, würde das schon reichen. Bei einer Funktechnik wie GSM muß man die engen Grenzen, die durch das Übertragungsmedium gesteckt werden, auch noch berücksichtigen, um möglichst viele Gespräche mit der gegebenen Übertragungskapazität zu ermöglichen.

Voraussagen sind möglich

Um nun noch weniger Information übertragen zu müssen, ohne Teile davon zu verlieren, sind weitere Maßnahmen nötig. Computerbenutzer kennen die verschiedenen Arten der Datenkompression, die je nach verwendetem Algorithmus höhere oder geringere Packungsdichten mit mehr oder weniger Datenverlust ermöglichen. Bei GSM kommt neben der eigentlichen Datenkompression noch ein System zum Einsatz, daß man als "Predictive Coding", also voraussagendes Verschlüsseln bezeichnet. Im Prinzip wird Information aus dem vorher genommenen Muster dazu benutzt vorherzusagen, wie das nächste Muster wohl aussehen wird. Aus den Koeffizienten einer linearen Kombination des vorherigen Musters zuzüglich einer codierten Version des bereits erhaltenen Musters kann das aktuelle Muster vorhergesagt werden: Der Unterschied zwischen dem vorherberechneten und dem tatsächlichen Muster ergibt dann das Signal.

Schlitze und Pakete

Wie bereits in der ersten Folge der Serie dargestellt, ist der für GSM zur Verfügung stehende Frequenzbereich in Trägerfrequenzen bzw. Übertragungskanäle von je 200 kHz aufgeteilt. In jedem dieser Kanäle stehen in zeitlicher Abfolge acht Zeitschlitze zur Verfügung. Jeder dieser Schlitze bzw. Slots trägt entweder den Verkehr vom Handy zur Funkstation ("Uplink") oder den von der Station zum Handy ("Downlink"). Die acht Schlitze werden für die Übertragung in "Frames" zusammengefaßt:

Diese Frames sind wieder in Multiframes gebündelt, von denen es zwei Typen gibt, die entweder 26 oder 51 TDMA-Frames enthalten. Eine Art Multiframe enthält 24 Verkehrskanäle (Traffic Channels, kurz TCH) und zwei Kontrollkanäle (Slow Associated Control Channels, SACCH), die jedes im Gang befindliche Gespräch überwachen. Ein SACCH enthält acht Kanäle für jede Verbindung, die die Verkehrskanäle tragen. Zusätzlich gibt es noch den schnellen Kontrollkanal, der über keine eigene Übertragungskapazität verfügt, sondern sich diese einfach von einem der Verkehrskanäle nimmt. Dieser Kontrollkanal (Fast Associated Control Channel bzw. FACCH) überträgt die Daten für die Sendeleistungskontrolle und für das Handover zwischen den einzelnen Mobilfunkzellen. Es gibt noch eine Reihe weiterer Kontrollkanäle: AGCH (Access Grant Channel), BCCH (Broadcast Control Channel), CCCH (Common Control Channel), PAC (Paging Channel), RACH (Random Access Channel) und SDCCH (Stand-alone Dedicated Control Channel), die für die diversen Kontrollaufgaben zuständig sind.

Kehren wir wieder zu den Zeitschlitzen, die das Signal übertragen, zurück: Die acht Zeitschlitze kann man sich auch so vorstellen, daß das Handy bzw. der Sender immer nur einmal "aufblitzt" - Ein "Burst" (wörtlich "Ausbruch") wird gesendet. Den Rest der Zeiteinheit sendet das Gerät nicht. Einer der Vorteile des Zeitschlitzverfahren (TDMA) liegt darin, daß es möglich wird, Frequenzen in geringerer Entfernung wiederzuverwenden, ohne daß die Gefahr von Interferenzen entsteht. Im Endeffekt können mit dem vorhandenen Frequenzspektrum mehr mobile Telephonierer bedient werden.

Paging

Eine wichtige Methode, den "Saft" im Akku möglichst wenig zu verbrauchen, ist der unterbrochene Empfang im Handy - vor allem dann, wenn man nicht spricht. Während man mit dem Handy unterwegs ist, muß das System ja wissen, ob der Teilnehmer noch da ist bzw. wo es ihn im Falle eines Anrufes erreichen kann. Daß eine ununterbrochene Verbindung zwischen Handy und Base-Station nicht unbedingt sinnvoll ist, dürfte aus dem vorher Gesagten klar sein. Außerdem braucht man ja keinen vollen Sprachkanal. Hier kommt der bereits erwähnte PAC (Paging Channel) ins Spiel. Die Base Station benutzt diesen Kanal einerseits um dem Handy mitzuteilen, wie oft es angepiepst werden wird, und andererseits zum tatsächlichen Anklopfen. In den Zeiten zwischen den einzelnen "Pages" kann das Handy in den Einschlafmodus ("Sleep-Mode") gehen und verbraucht so weniger Energie. Das erklärt auch, warum das gleiche Handy in verschiedenen Netzen einen unterschiedlichen Stromverbrauch aufweist. (Das Problem zwischen den neuen ONE-SIM-Karten und dem Nokia 6150 ist aber ein anderes!)

Der PAC wird übrigens auch dazu benutzt, dem Handy mitzuteilen, daß es einen Anruf bekommt.

Möglichst schwach senden

Eine weitere Standard-Methode zum Stromsparen ist die Regelung der Sendeleistung. Um die Gefahr von Interferenzen möglichst gering zu halten, arbeiten Base-Station und Handy mit der geringstmöglichen Sendeleistung. Das funktioniert relativ einfach: Das Handy mißt auf Basis der Bitfehlerrate die Sendeleistung der Base-Station und gibt den erhaltenen Wert zurück. Die Base-Station entscheidet dann über die Sendeleistung, die in Schritten von 0,2 dB bis auf ein Minimum von 13 dBm gesenkt werden kann. Diese Minimalleistung entspricht dann 20 Milliwatt.

Selten senden

Je mehr man die Interferenzen reduziert, desto besser ist der Empfang in einer Zelle. Natürlich kann man bei geringerer Interferenz auch die Zellen kleiner machen. Beide Anwendungen führen zu einem bessern Dienst bzw. zur Möglichkeit, mehr Teilnehmer in das Netz zu lassen.

Bei der Sparsamkeit, mit der die GSM-Entwickler an die verfügbaren Frequenzen herangingen, war es kein Wunder, daß sie sehr bald entdeckten, daß eine Person in einem normalen Gespräch nicht mehr als 40 % der Zeit spricht. Discontinous Transmission (DTX), eine Technologie, die diesen Umstand ausnützt, sorgt dafür, daß die Sender während der Sprechpausen abgeschaltet werden. Aus der Sendeabschaltung ergibt sich natürlich auch eine zusätzliche Stromersparnis, die der Stand-by-Zeit des Akkus zugute kommt.

Diese Technologie ist nicht in allen GSM-Netzen implementiert und erfordert natürlich auch Handys, die DTX beherrschen.

Was einfach klingt, ist in Wahrheit ein ziemlich komplexer Vorgang, denn es muß ja sichergestellt werden, daß Sprache ungestört übertragen wird, und gleichzeitig soll DTX ja nicht jeden Umgebungslärm als Sprachsignal interpretieren, denn sonst wären die Vorteile von DTX rasch dahin: Das Handy würde fast dauernd senden. Erkennt das System aber Sprache nicht, dann kommt es zu seltsamen Unterbrechungen, die "Clippings" genannt werden.

Eine manchmal nicht ganz verstandene Eigenschaft von GSM gehört ebenfalls hierher: das sogenannte "Komfort-Rauschen" bzw. "Comfort-Noise", ein künstlich erzeugtes Hintergrundgeräusch beim Empfänger, das dafür sorgt, daß der empfangende Teilnehmer nicht glaubt, daß die Verbindung abgebrochen ist, weil er - die digitale Verbindung bedingt das - überhaupt nichts mehr hört, wenn am anderen Ende eine Pause ist.

Signal-Säuberung

Bei den relativ hohen Frequenzen, die GSM benutzt, werden die Funkwellen von allen möglichen Objekten reflektiert. Das bedeutet aber, daß das gleiche Signal zu verschiedenen Zeiten beim Empfänger ankommt (Bild 3). Mit einem Equalizer, der sich auf eine Bit-Training-Sequenz in jedem Zeitschlitz stützt, kann man herausfinden, welches das eigentliche Signal ist, und damit die unerwünschten Reflektionssignale herausfiltern. Auch diese Eigenschaft ist nicht bei allen Netzen und Handys vorhanden.

Die Sprach-Codierung

Aus der weiter vorne bereits dargestellten Notwendigkeit einer möglichst hoch komprimierten Übertragung ergibt sich auch die Notwendigkeit, die übertragene Sprache so zu codieren, daß sie am Ende des Übertragungsweges möglichst natürlich klingend ankommt.

Von Anfang an waren daher in der GSM-Definition zwei verschiedene Arten der Sprach-Codierung vorgesehen: Half-Rate und Full-Rate. Bei der Einführung von GSM in den USA stand man dort vor der Frage der Sprachcodierung, denn man wollte den Kunden in den digitalen Netzen einen echten Vorteil gegenüber den damals schon wirklich flächendeckenden Analognetzen bieten. Das Ergebnis hieß EFR bzw. Enhanced Full Rate und wurde in den GSM-Standard integriert.

Die Erfindung von EFR machte derart Furore, daß man in der Zwischenzeit darüber nachdenkt, ob man nicht einen noch besseren Sprach-Codierer entwickeln könnte. Der Arbeitstitel für dieses System, das dann noch bessere Sprachqualität bieten soll - Was ist klarer als kristallklar? - heißt AMR und basiert auf EFR. AMR steht für Adaptive Multi-Rate Coder, ist ein gemeinsamer Vorschlag von Ericsson, Nokia und Siemens und soll bereits 2000 eingeführt werden.

Wie das mit der Codierung tatsächlich aussieht und welche Vor- und Nachteile die unterschiedlichen Systeme bieten, lesen Sie im nächsten Heft von MOBILE TIMES (>>).

Franz A. Köttl


Abkürzungen

BpsBit pro Sekunde
EDGEEnhanced Data rate for GSM Evolution
GGSNGateway GPTS Support Node
GPRSGeneral Packet Radio Service
GSMGlobal System for Mobile communication
HSCSDHigh Speed Circuit Switched Data
IPInternet Protocol
ISDNIntegrated Services Digital Network
ITUInternational Telecommunication Union
kbpsKilobit pro Sekunde
LANLocal Area Network
MSCMobile Switching Center
SGSNServing GPRS Support Node
TDMATime Division Multiple Access
WAPWireless Application Protocoll



MOBILE TIMES Home Letzte Überarbeitung: Montag, 10. Februar 2003
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