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Artikel aus Mobile Times 27

Telearbeit

Manchmal ist es ganz interessant, zu lernen, wie man in anderen Bereichen der Gesellschaft über die Informations- und Kommunikationsgesellschaft denkt, die für uns so selbstverständlich ist. Hier liegt eine Arbeit aus dem Wintersemester 1998/99 aus dem Proseminar Wirtschaftspsychologie vor, die wir unseren Lesern nicht vorenthalten wollen.


"Wir sind noch nicht mal an der Startlinie zur Informationsgesellschaft. Es kann also niemand einen Vorsprung haben oder zurückfallen. Aber es gibt diese Sorge in den Industrieländern, ob sie die richtige Infrastruktur haben, das richtige Ausbildungssystem und den Unternehmergeist, der erforderlich ist, um bei diesem Rennen eine führende Rolle spielen zu können. Die Computertechnologie beeinflußt die ökonomische Effizienz eines Landes so sehr, daß niemand sagen kann, wir machen da nicht mit, es sei denn, er ist bereit, den Lebensstandard seines Landes absinken zu lassen." [1]

Die Vorstellung von einem Computerarbeitsplatz zu Hause stößt auf wenig Begeisterung. Offenbar geht hier etwas verloren, was den meisten Menschen wichtig ist. Motivuntersuchungen zur Telearbeit zeigen immer wieder, wie bedeutsam im Berufsleben die Dimension des Sozialkontaktes ist. Berufsarbeit wird hochgeschätzt wegen ihrer Selbstverwirklichungsmöglichkeit in einer spezifischen Tätigkeit (vgl. Maslows Bedürfnispyramide --> 5. Stufe sowie Herzbergs --> Satisfiers), wegen des Geldes, das sie einbringt, und wegen der Möglichkeit zur Begegnung und zum Gespräch mit Kollegen und anderen Menschen.

Frage: "Wenn man Ihnen einen Arbeitsplatz anbieten würde, bei dem Sie zu Hause am Computer arbeiten könnten und mit dem Arbeitgeber, dem Büro, nur noch über den Computer verbunden sind: Wäre das etwas für Sie, oder würden Sie einen Arbeitsplatz in der Firma vorziehen?"

Ein Arbeitsplatz zu Hause am Computer wäre etwas für mich26 %
Würde einen Arbeitsplatz in der Firma vorziehen39 %
Kommt darauf an/Unentschieden26 %
Würde nicht arbeiten9 %

[2]

Das Interesse an Computerarbeit daheim geht Hand in Hand mit der Begeisterung und mit einer schon vorhandenen Kompetenz beim Umgang mit Computern vor allem bei jüngeren Menschen und bei Personen mit höherer Ausbildung. Diese Gruppe ist eher bereit, ein diesbezügliches Angebot anzunehmen als ältere Menschen. Ergänzt wird diese Gruppe durch die Anzahl jüngerer Frauen, die in dieser Form der Tätigkeit eine ideale Synergie zwischen Berufs- und Alltagsleben herstellen können. Auf der einen Seite verlieren sie den Anschluß im Berufsleben nicht, auf der anderen Seite kann der Nachwuchs jederzeit beaufsichtigt werden. Dies erspart dem Staat Umschulungs- und Weiterbildungskosten, und diese nicht genutzten Ressourcen können anderen Arbeitslosen zugute kommen.

Wenn man die Telearbeit global betrachtet, wird durch diese Form das multikulturelle Management zur bewußten unternehmerischen Entscheidung. Wenn ein Arbeitsteam z.B. aus Europäern, Amerikanern und Chinesen besteht, so muß Sorge getragen werden, daß sie untereinander soviel Wissen von der Kultur des anderen bekommen, daß sie miteinander umgehen können. Auch wäre die Teamarbeit auf alle 24 Stunden des Tages erweiterbar. Der Chinese speichert seine Daten in das internationale Netz, kurze Zeit später arbeitet der Europäer, der seinerseits nach dem Arbeitstag die Daten auf dem Highway in die USA sendet, und der Amerikaner beginnt mit seinem Tagwerk - weltweites Kooperieren und Arbeiten an einem Projekt.

Aufgrund der "fallenden Grenzen" müssen auch neue Regeln für den Arbeitsalltag aufgestellt werden. Die bisherige Dreiteilung Ausbildung - Berufsleben - Pension überholt sich, und lebenslange Weiterbildung wird selbstverständlich.

Ein Rückblick zu den Wurzeln der Industrialisierung zeigt, daß die Großstädte eine Sogwirkung entfalteten, die Landbevölkerung zog in die Ballungszentren. Die Telearbeit kann hier einen Umkehrprozeß hervorrufen. Großstädte werden unter Umständen kein Zeichen des Fortschritts mehr sein, sondern ein Zeichen der Rückständigkeit. Diese weltweite Vernetzung wird es den Menschen ermöglichen, zu leben und zu arbeiten, wo immer sie wollen.

"Wenn die Leute wieder mehr in kleinere und mittlere Städte ziehen, steigert das den sozialen Zusammenhalt. In Tampere in Westfinnland baut die finnische Regierung derzeit zusammen mit dem Elektronikkonzern Nokia sogenannte Telecottages. In den Ferienhäusern mit allem multimedialen Schnickschnack sollen gestreßte Manager den Sommer in ländlicher Umgebung verbringen können, ohne ihre Arbeit unterbrechen zu müssen." [3]

Sollten die Unternehmen nun auf diese Weise ihre Arbeitsplätze auslagern, werden in den Großstädten die Büromieten, vor allem in der Innenstadt, drastisch sinken. Auch die Staus am Morgen und am Abend verschwinden, Parkhäuser werden ihrer Existenzgrundlage beraubt. Die Stadt bleibt leer. Damit soll aber nicht festgestellt werden, daß sich weniger auf unseren Straßen abspielen wird, die Verkehrslawine wird sich nur gleichmäßiger über den Tag verteilen.

Befremdend ist nur, daß es weder dem Fernseher noch dem Radio, eigentlich die Informationsmedien par excellence, gelungen ist, sich den Ruhm auf die Fahnen zu heften, eine Dienstleistungsgesellschaft in eine Informationsgesellschaft umgewandelt zu haben. Dafür war erst eine Entwicklung notwendig, die heutzutage schlicht als digitale Revolution bezeichnet werden kann, die von einem kleinen Gerät ausging, das weltweit unter der Bezeichnung Computer gehandelt wird. Mit jedem neu entwickelten Prozessor werden die Möglichkeiten des Computers größer. Jedoch ist kaum zu erwarten, daß wir in zehn Jahren zu Hause vor dem Computer sitzen, um an unseren Telearbeitsplätzen Daten auszutauschen und unsere Arbeitsergebnisse in der Videokonferenz mit unseren Kollegen rund um den Globus zu besprechen. Es kann und darf nicht so schlimm werden, daß es keinerlei zwischenmenschliche Kontakte geben wird und wir entweder mit einem Rechner liiert oder arbeitslos sind. Denn obwohl man uns einreden will, daß Liebe im Cyberspace erfüllender sei, wird die Bevölkerung nicht mit virtuellen Mahlzeiten zu ernähren sein und mit virtuellen Waschungen sauberzuhalten sein. Nach wie vor wird es notwendig sein, daß die Abfallcontainer regelmäßig entleert werden, und die knusprigen Semmeln fürs Frühstück wird immer noch der Bäcker produzieren.

Diese Entwicklung, die ungefähr 1995 eingesetzt hat, ist in etwa mit dem großen amerikanischen Goldrausch vergleichbar. Einer fing an, und wie die Lemminge stürzte sich ein Großteil der Bevölkerung in ein neues Abenteuer. Überall wird nur noch vom Internet und im Zusammenhang damit von der Informationsgesellschaft gesprochen, vom Surfen, von Homepages.

Aber was ist eine Informationsgesellschaft? Bisher war alles einfach: Die Arbeiter- und Bauerngesellschaft erwirtschaftet den überwiegenden Teil unseres Bruttosozialproduktes durch Arbeit und Landwirtschaft. Eine Industriegesellschaft erwirtschaftet demzufolge Industrieprodukte und handelt auch mit diesen. Mit Autos vom Fließband, mit Artikeln des täglichen Bedarfs um z.B. Lebensmittel über einen längeren Zeitraum hinaus aufbewahren zu können, mit Elektrogeräten, um die Hausarbeit zu verkürzen - mit so ziemlich allem, was in Geschäften gut und teuer und für Geld zu kaufen ist. Es bleibt jedoch ungeklärt, was eine Informationsgesellschaft tun wird oder bereits tut. Es kann mit Informationen gehandelt werden, sie können ausgetauscht werden, aber sie können nicht erwirtschaftet werden. Wenn heute Millionen Menschen, die noch nicht telearbeiten, an ihre Arbeitsplätze gehen, dann stellen sie keine Informationen her, sondern "handfeste" Dinge wie Einrichtungsgegenstände, sie arbeiten sich durch Aktenberge, sie sprechen Recht, sie pflegen Kranke oder schulen den "hoffnungsvollen" Nachwuchs.

Die Chancen, die durch den "Goldrausch" des fast beginnenden 21. Jahrhunderts zu sehen sind, liegen im weltumspannenden Aufbau der Infrastruktur. Sie bietet eine enorme Möglichkeit, sich auf der einen Seite mit Menschen zu unterhalten, die man sonst nie getroffen hätte, und auf der anderen Seite die Chance, jede Bibliothek der Welt zu besuchen, ohne seinen Telearbeitsplatz verlassen zu müssen. Dabei muß aber in Betracht gezogen werden, daß sehr viel Zeit erforderlich ist, die geballte Menge an Informationen und Daten, die aus dem Netz abrufbar sind, auszuwerten, um sie sinnvoll verwerten zu können.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß Telearbeit sicherlich eine Ergänzung und Bereicherung des täglichen Lebens ist bzw. in Zukunft sein wird. Doch kann Gott sei Dank am Ende eines Arbeitstages der Tratsch mit Kollegen im Beisl ums Eck noch nicht ersetzt werden.

Elvira Gall-Gold


Literatur:

[1] Gates, B., (1966) Das ist ja keine Atombombe, WirtschaftsWoche 44/26, Oktober 1995

[2] Baron St., Becker K.E., Schreiner H.P. (Hg.) (1997) Die Informationsgesellschaft im neuen Jahrtausend, Bergisch Gladbach, Gustav Lübbe Verlag

[3] Opl E., Städte: Zwischen Telepolis und Stammkneipe, WirtschaftsWoche 40/26. September 1996




MOBILE TIMES Home Letzte Überarbeitung: Montag, 10. Februar 2003
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