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Artikel aus Mobile Times 29

IFA, Orbit und Telecom

Neuheitenexplosion und Weichenstellungen

Das Jahr 1999 wird wohl in die Geschichte der Technik unter dem Titel "Wechseljahr zur Mobilität" eingehen. Was heuer vorgestellt wurde, wird wohl die Entwicklung der nächsten Jahre prägen: der Übergang zum "tragbaren" Computer, der einfach einen Teil der Kleidung darstellt verbunden mit der Integration dieser Minis in das Telephon - oder umgekehrt. Das ist ja eine Frage des Standpunktes.


Der Herbst 1999 brachte die alle zwei Jahre stattfindende Internationale Funkausstellung in Berlin, die nur alle vier Jahre veranstaltete Telecom und auf nationaler Ebene die Neuschöpfung "COM" auf dem Wiener Rathausplatz. So nebenbei besuchten wir noch die Schweizer MOBILE TIMES bei der Basler Orbit, wo es ebenfalls einige Neuigkeiten zu sehen gab. Aber nun schön der Reihe nach:

IFA 1999

Die Sensation, die alle deutschen Netzbetreiber zur IFA vorstellten, waren WAP-Server. Über die zur Verfügung stehenden Inhalte kann man geteilter Meinung sei, nicht aber über die Version: WAP 1.1 ist aktuell und wird auch implementiert. Arm alle Handyhersteller, die mit Version 1.0 vorgeprescht sind. Ihre Handys können mit den neuen deutschen WAP-Diensten nichts anfangen.

E-Plus hatte Starvorteil. Als erster der vier deutschen Mobilfunker konnte die Tochter von RWE, Veba und Vodafone vor Journalisten auf der IFA '99 mit Nokia-Handys 7110 die Fähigkeiten des neuen WAP-Servers präsentieren. Erst am zweiten Vormessetag war es dann für die anderen drei möglich gleichziehen und vergleichbare Angebote vorstellen.

Die Handyanbieter konnten da natürlich nicht nachstehen: WAP-Handys allüberall. Zumindest demnächst: Siemens liefert ja bereits - im für Deutschland falschen WAP 1.0. Nur was sollte man machen? Beim Start des S25 gab es WAP 1.1 noch nicht und Belgier und Briten brauchten dringend WAP 1.0. Nokia lieferte sein 7110 eben nicht im September, sondern erst im Oktober aus. Über die Gründe wurde zwar geschwiegen, aber denken wird man ja noch dürfen. Bei Motorola war man ziemlich ehrlich und meinte, daß man derzeit beide WAP-Versionen auf verschiedenen Handys implementiert hat, um mit den verschiedenen Anbietern zu testen; beide Versionen hätten aber ihre Vor- und Nachteile. Motorola kam inzwischen auf einigen Märkten (Schweiz, Südafrika etc.) mit dem WAP-tauglichen Timeport P1088, das äußerlich dem Triple-Band entspricht, aber eben ein Dualband mit WAP-Browser ist. Fein heraus wäre Ericsson, denn dort ist man eigentlich WAP-konform und hat für beinahe jeden Geschmack etwas im Köcher: MC218 mit einem Handy, dem schon zur CeBIT vorgestellten R380s und dem in Basel vorgestellten R320s. Allen drei ist das EPOC-Betriebssystem gemeinsam, dem man die WAP-Fähigkeit mit einem simplen Download von der Ericsson-Homepage beibringen kann. Der Unterschied zu Motorola und Nokia besteht aber darin, daß Ericsson seine WAP-Maschinen erst im ersten Quartal 2000 auf den Markt bringen wird ...

WAP-Server müssen natürlich nicht von einem Netzbetreiber betrieben werden. Im Prinzip kann jeder ein solches System in Betrieb nehmen: alleine Nokia hat nach eigenen Angaben schon 5.000 WAP-Server verkauft. Allerdings haben die Netzbetreiber einen sehr großen Vorteil: Sie haben den direkten Kundenkontakt und so bauen sie ihr WAP-Portale genau so auf, wie etwa Microsoft, Yahoo usw., ihre Web-Portale: Der Kunde soll sich eine Adresse merken, die er immer wieder als Startpunkt für seine virtuelle Reisen benutzt. Außerdem muß man als externer Betreiber mit einem Netzbetreiber das Einvernehmen herstellen, um seine Dienste anbieten und allenfalls auch vergebühren zu können.

Global positioniert

GPS ist jetzt in aller Munde. Der zweite finnische Handyhersteller Benefon hat ja GPS sogar ins Handy integriert. Aber auch der Markt für elektronische Leitsysteme, der laut Blaupunkt 1998 in Deutschland 165.000 betrug, während man bei Mannesmann VDO - wohl von einer anderen Basis ausgehend - von einem Weltmarkt von 160.000 Einheiten sprach, bei denen das Unternehmen Marktführer sei, wird immer spannender.

VDO Mannesmann, deren Systeme unter dem Namen VDO dayton vermarktet werden, entstand durch den Erwerb des bisherigen Philips-Systems CarIn. Dieser Markenname wird bald verschwinden und ausschließlich durch VDO dayton ersetzt werden. Der interessante Punkt der neuen Konstruktion liegt vor allem darin, daß Mannesmann als Gesamtkonzern in der Lage ist, sehr interessante Synergien zu bieten, denn z. B. ist man mit dem GSM-Netz D2 in der Lage, seinen Kunden blitzartige Updates über aktuelle Verkehrslagen zu bieten.

Bosch wiederum pocht - nicht zu Unrecht - auf seine technologische Führerschaft. Mit dem Radiophone sei man nach wie vor technisch durch niemanden eingeholt worden. Die Sprachsteuerung VOCS (VOice Control of phone and audio Systems) hätte ebenfalls noch keine ernsthafte Konkurrenz und schließlich will man - nach dem man beim Erstausrüstungsgeschäft ohnehin ganz vorne ist - auch dem Fachhandel mit Nachrüstsystemen wieder eine Geschäftschance eröffnen. Dazu hat man den Travelpilot RSN 149 eingeführt, der genau in einen Autoradio-Einbauschacht paßt. Extra montiert und verkabelt muß nur mehr die GPS-Antenne werden.

COM

Die neue Messe in Wien zeigte einmal mehr, daß die Österreicher vom Handy besessen sind und wohl die Zuwachszahlen auch heuer hoch bleiben werden. Im Lichte dieser Entwicklung, die uns möglicherweise bereits im nächsten Jahr eine skandinavische Penetrationsrate bescheren wird, ist auch zu verstehen, daß sich in Österreich momentan technologisch wenig zu tun scheint, obwohl zur COM alle drei Netzbetreiber vorführten, daß ihnen WAP keine unbekannte Technologie ist. Offensichtlich sind die Netzbetreiber aber damit beschäftigt, ihre SMS-Dienste einmal zu verdauen.

Orbit

Die schweizerische Leitmesse der IT-Branche durfte sich auch heuer über unerwartete Zuwächse an Besuchern freuen. Als man 1998 die Grenze von 100.000 überschritt, meinte man seitens der Messeleitung, daß man diese Besucherzahl halten wolle, weil realistischerweise die kleine Schweiz kaum eine größere Besucherzahl aufbringen kann. Es wurden dennoch wieder mehr: über 110.000. Darunter sichteten wir erstmals auch Österreicher, die sich auf dem Schweizer Markt umtun wollten. Sogar internationale Messestände gab es und außerdem einige echte Neuheiten wie etwa die WAP-enabled Handys von Motorola und Ericsson.

Telecom '99

Alle vier Jahre versammelt sich die Telekom-Industrie in Genf, um eine Standortbestimmung der Branche durchzuführen. Wir haben uns in Genf natürlich primär im mobilen Bereich umgesehen, der nach wie vor von der Debatte um die dritte Mobilfunkgeneration geprägt ist. Während die Hersteller - und hier vor allem die aus Asien, die bei GSM wenig Rolle spielten - vom Wideband-CDMA bzw. IMT-2000 schwärmen, sind die Netzbetreiber weit nüchterner und wiederholen mit großer Regelmäßigkeit den Hinweis darauf, daß derzeit weltweit nur drei Prozent der User Datenverkehr über Mobilfunknetze betreiben, der Bedarf für hohe Bandbreiten daher kaum vorhanden ist.

Und die europäischen Hersteller reagieren prompt. Alcatel zeigte als erster Anbieter WAP über GPRS, Ericsson führte an Hand einer echten Nachrichtenapplikation vor, daß selbst mit dem alten Datenübertragungssystem im GSM interessante Dienste für den Kunden möglich sind. Nokia verwies mit dem 8210 auch darauf, daß Handys immer mehr ein Modeartikel werden.

Aufmarsch der Zwerge

Vor wenigen Jahren noch Science Fiction, heute bereits Realität: kleine Geräte, die außer "Beamen", fast alles können: Handys mit Videokameras, Handys mit Radios (Ericsson und Panasonic), Handys mit MPEG-Player (Ericsson, Panasonic, Samsung) und Handys mit GPS-Fähigkeiten und kompletten Landkarten (Benefon).

Interessante Designstudien gab es auch für "normale" Handys, die man dann eher als "Brillies" bezeichnen müßte: ein Brillengestell, das auf Spracheingabe reagiert gab es z. B. bei NTT DoCoMo und Ericsson zu sehen.

Handys mit Internet-Browsern sind ja geradezu schon ein "alter Hut", obwohl WAP ja erst im Anlaufen ist. Bei Siemens startete man im untersten PDA-Segment mit dem IC35 "Unifier", einem kleinen Gerät, daß allen kompatiblen Handys mit Infrarot (Siemens S25, Ericsson SH888, Nokia 8810 usw.) WAP-Fähigkeiten verleiht und außerdem als Organizer, Taschenrechner und Notepad dienen kann.

Split-Lösungen gab es auch bei NEC zu sehen, wo man den bunten Bildschirm an das normale Handy über WAP ankoppelte.

Flucht der EDV?

Während einige heimische Tageszeitungen mutmaßten, daß die Beteiligung der EDV-Industrie zugenommen hat, sprechen die Tatsachen eine andere Sprache: Der IBM-Riesenstand, der noch anläßlich der letzten Telecom 1995 die Halle 4 zierte, ist ersatzlos verschwunden. Daß Compaq mit einem großen Stand neu vertreten ist, verwundert niemand, den dieser Stand nimmt genau so viel Platz ein, wie vor vier Jahren die Telekom-EDV-Spezialisten von Tandem - das Unternehmen wurde bekanntlich von Compaq übernommen - benötigten. Der Digital-Stand ist allerdings ersatzlos verschwunden. Lediglich Hewlett-Packard ist auch heuer in alter Stärke vertreten gewesen. Die Teilnahme von Bull ist Tradition - immerhin hält das Unternehmen die wichtigen Patente für die SIM-Karten und ist selbstverständlich weiter daran interessiert, diese Position zu halten und auszubauen. Auch Chip-Macher Intel scheint den Telekom-Markt nicht mehr so bedeutend zu finden wie 1995: keine Teilnahme 1999. Übrigens hat sich auch Microsoft von einem großen Stand 1995 auf einen kleineren 1999 zurückgezogen ...

Trendsetter

Wichtigste Funktion der Telecom ist das Setzen von Trends. 1983 sprach man in Genf von ISDN und erst jetzt wird das langsam ein Massenmarkt. 1987 sprach man noch immer von ISDN, aber schon eher von Anwendungen. Als neues Thema galt die anlaufende Normung digitaler Mobiltelephonsysteme. 1991 war GSM das Hauptthema. Die Einführung der Technik folgte dann ja bereits 1992. 1995 sprach man noch immer vom Mobilfunk, dachte aber schon viel mehr an Breitbandinstallationen im Festnetz. Als Killer-Applikation, also eine Anwendung, die so viel Interesse im Publikum erweckt, daß man die Systeme durch Kunden auch finanzieren kann, dachte man sich Video-on-demand. Das war zumindest bisher ein Flop. Und heuer war man dann mit Generaltrends eher vorsichtig.

Offensichtlich wurde aber, daß sich bei mobilen Organizern, die praktisch alle mit Mobiltelephonen kommunizieren sollen, ein interessanter Dreikampf abzeichnet, bei dem sich die Situation von Microsoft dramatisch verschlechtert hat, nachdem Philips und Sharp in Zukunft keine CE-Rechner mehr produzieren wollen. Ericsson hat ja diesen Schritt bereits vollzogen und andere Firmen überlegen zumindest, ob sie in das Lager von Symbian oder Palm überlaufen sollen. Als Gerücht wurde sogar gehandelt, daß Palm überlegt, ebenfalls EPOC statt PalmOS zu verwenden. Für dieses Gerücht gab es aber bis zum Redaktionsschluß keine Bestätigung.

Auch bezüglich des künftigen Mobilfunkstandards IMT-2000, bei uns auch oft als UMTS bezeichnet, hielten sich viele Hersteller noch sehr bedeckt. Nur die Hersteller aus Japan und Korea preschten mit teilweise wirklich interessanten Installationen vor. Bild-Handys waren bei diesen Anbietern sehr oft zu sehen. Eines scheint allerdings jetzt schon klar zu sein: IMT-2000 wird - wie angenommen - kein einheitlicher Standard, sondern eine Sammlung von Standards. Und die Gemeinschaft der GSM-Netzwerkbetreiber arbeitet intensiv daran, das eigene System so zukunftssicher zu machen, daß IMT-2000 nicht installiert werden muß. So hat man jetzt mit einem Programm begonnen, daß Roaming auch zwischen GSM, CDMA, TDMA und eventuell sogar PHS möglich machen soll. Gleichzeitig arbeitet man mit Hochdruck an Anwendungen - etwa die inzwischen bekannt gewordenen GSM-Automaten -, die mit den anderen Systemen nicht möglich sind, um auch in Nordamerika das Steuer herumzureissen und auch dort Marktführer bei digitalen Systemen zu werden.

Die mobile Branche bleibt nicht nur spannend, sie wird sogar immer interessanter ...

Franz A. Köttl


Verwendete Abkürzungen

CDMACode Division Multiple Access. US-System, das im Prinzip eine paketvermittelte Sprachübertragung auf verschiedenen Frequenzen darstellt.
GPSsteht für Global Positioning System und beruht auf der genauen Vermessung des eigenen Standortes durch Triangulierung mit drei oder mehr Satelliten.
GSMGlobal System for Mobile communication. Digitaler Mobilfunkstandard, der derzeit in den Frequenzbereichen 450 MHz, 900 MHz, 1800 MHz und 1900 MHz genormt ist.
IMT 2000International Mobile Telephone 2000. Arbeitstitel für das künftigte Mobilfunksystem.
ISDNIntegrated Services Digital Network. System, bei dem auf einer normalen Kuperleitung zwei digitale Kanäle mit je 64 kbit/s und ein Dienstkanal mit 16 kbit/s möglich sind.
PHSPersonal Handyphone System: japanischer Standard für digitale Mobiltelephone.
TDMATime Division Multiple Access. Zeitschlitzverfahren, das auch im GSM verwendet wird. Als TDMA wird aber vor allem die von den AT&T-Netzen in den USA benutzte Digitaltechnik bezeichnet.
UMTSUniversal Mobile Telephone System. Europäischer Vorschlag für das künftige Mobilfunksystem IMT-2000 der Internationalen Telekom-Union.
WAPsteht für Wireless Application Protocol und ist ein Übereinkommen, das dafür sorgt, daß der Kontakt zwischen Server und Handy (oder anderen über Funk arbeitenden Geräten) reibungslos funktioniert. Ursprünglich wurde WAP von der US-Firma Unwired Planet entworfen. Wesentlicher Teil ist für den Anwender ein "Microbrowser" am Handy, der die WML (Wireless Markup Language) interpretieren kann.



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