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Artikel aus Mobile Times 35

Die neuen Seiten des Telephonierens

Der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk sprach in Wien über die Bedeutung des Internets in unserer Gesellschaft. Ist es ein neues Massenmedium wie Zeitung, Radio und Fernsehen oder hat es doch mehr mit Telekommunikation, also Telephonie zu tun?


Wenn ein Philosoph mit einem Techniker und einem Medienfachmann diskutiert, schwingt sich der Geist in lichte Höhen, werden große Theoretiker zitiert und pointierte bis provokante Vergleiche formuliert. Peter Sloterdijk versteht es im Besonderen, seine Thesen eingängig und amüsant dem Publikum nahe zu bringen. Hagen Hultzsch, der technische Vorstand der Deutschen Telekom, war ein pragmatischer Diskussionspartner mit einem Hang zu Idealismus und Franz Manola, der Geschäftsführer von ORF-ON, offenbarte neben seinen medientheoretischen Vorlieben seine kritische Sicht des neuen Verhältnisses von Medienunternehmen versus Telekomunternehmen. Schauplatz dieser Diskussion über das Internet war die Wiener Hofburg, wo max.mobil zum dritten Mal in den max. talkroom einlud.

Internet versus Massenmedium

Sloterdijks These lauter: "Das Internet ist kein Massenmedium, das Internet sei eine potenzierte Form von Telephonie." Massenmedium heißt also nicht, daß viele Menschen ein Medium benützen, sondern daß von einer Instanz an möglichst viele Menschen, womöglich noch zur gleichen Zeit etwas vermittelt wird. Die Empfänger konsumieren passiv ohne Möglichkeit einer direkten Reaktion. Anders ist es beim Medium Telephonie, wo eine direkte Kommunikation zwischen zwei oder mehreren Personen stattfindet.

Telephonie ist daher massenhaft benutzte Einzelkommunikation, das Internet ein massenhaft benutztes Einzelmedium. Die persönlichen, dialogischen Kommunikationsformen im Internet sind Chatforen, Newsgroups, der e-mail-Austausch. Unpersönliche Kommunikation - die Rollen von Sender und Empfänger sind festgelegt - ähnlich der bei den Printmedien, findet auch im Internet statt. Nur wann man was konsumiert bleibt dem Rezipienten überlassen, im Unterschied zu den Massenmedien Radio und Fernsehen, wo man auch an eine bestimmte Zeit gebunden ist.

Die verschiedenen Formen der Kommunikation haben unterschiedliche Wirkungen in der Gesellschaft. Schon in den 30er Jahren, als das Fernsehen erfunden wurde, befaßte man sich mit den Auswirkungen: "Television kills telephone" befürchtete der Dichter James Joyce in seinem Spätwerk Finnegans Wake. Massenkommunikation tötet die Individualkommunikation.

Was passiert, wenn der Einzelne nur mehr Teil einer Masse ist, zeigten auf drastische Weise die totalitären Regime des 20.Jahrhunderts. Ohne Massenmedien hätten sie sich gar nicht etablieren können. Die Phänomene Massenhysterie und Skandalisierung erleben wir auch heute ständig - sei es Clintons Affaire mit einer Praktikantin oder der Unfalltod von Prinzessin Diana. Sloterdijk sieht im Internet ein Medium gegen die "massenmediale Übersynchronisierung" der Menschen. Gleichschaltung der Meinungen und Gefühle könnte man es übersetzen.

Bierdeckel und Pornos

Obwohl auch das Internet der Gruppenbildung dient, ist diese nicht mehr territorial begrenzt, sondern weltweit können sich Individuen in kürzester Zeit zu Gruppen zusammenfinden. So wie Schachspieler und Bierdeckelsammler Gleichgesinnte in der ganzen Welt finden können, so können sich auch Terroristen und Pornohändler weltweit organisieren und kommunizieren.

Ein Medium ist eben an sich weder gut noch böse, der Gebrauch macht erst die Qualität aus. Hagen Hultzsch reklamierte diese neutrale Position für die Telekombetreiber. Sie halten die Infrastruktur bereit, Geräte und Inhalte sind Sache anderer. Ein Vergleich soll dies deutlich machen: die Automobilhersteller bauen auch keine Straßen und stellen keinen Sprit her. Den Weg, den einige Telekombetreiber nun gehen und sich im Broadcasting einkaufen, hält Hultzsch für falsch. Die spanische Telefonica kaufte erst jüngst die Fernsehproduktionsfirma Endemol, die mit "Big Brother" Aufsehen erregte oder der Megadeal in den USA, als der Internet-Provider AOL den Medienkonzern Time-Warner übernahm.

Werden die Telekommunikations- nun Medienunternehmen, weil sie aus dem Telephoniegeschäft nichts mehr verdienen? Ständig neue Gebührensenkungsrunden, kostenloser Internetzugang, subventionierte Geräte lassen erwarten, daß woanders das Geld verdient wird. Das Ringen um Teilnehmer und nicht um Gewinne kann ja nicht ewig so fort gehen. Allerdings bezahlt auch niemand für Medieninhalte. Im Internet sind Inhalte bis auf wenige Ausnahmen gratis, im TV werden nur für die öffentlich-rechtlichen Sendestationen Gebühren bezahlt, privates Pay-TV konnte sich bis jetzt nicht wirklich durchsetzen.

Wer verdient eigentlich etwas im großen Kommunikationsgeschäft?

Man kam ja schon auf die Idee, den Teilnehmern fürs Kommunizieren auch noch zu bezahlen, das heißt sie bekommen Endgerät (z.B. Handy) und Airtime geschenkt, wenn sie es ertragen, beim Telephonieren von Werbedurchsagen gestört zu werden. Es stellte sich bei Testläufen heraus, daß die Kunden diese Unterbrecherwerbung nicht goutieren. Deshalb haben die Telekommunikationsunternehmen davon wieder Abstand genommen, obwohl sie gegen werbungsfinanzierte Gesprächsgebühren nichts einzuwenden hätten, analog zum werbefinanzierten Fernsehen.

Bei einem aktiven Gespräch nimmt der Kunde den Störfaktor Werbespruch nicht hin, beim passiven Fernsehkonsum kann man ja weggehen oder wegschalten. Auch bei werbefinanzierten Internetsites schauen die User weg, Programme, die Werbung wegfiltern, erfreuen sich gesteigerter Nachfrage.

Die modernen Kommunikationsmittel sollen also möglichst gratis sein und dennoch wittern alle das große Geschäft darin. Ein Widerspruch, dem sich die Diskussionsrunde nur peripher widmete, wohl weil auch sie keine Antwort wußte. Es fällt sicher leichter über die politischen und moralischen Risken der Massenmedien zu plaudern, die nur von Individualmedien konterkariert werden können.

Diese Debatte ist in ihren Grundzügen nicht ganz neu. Aber ob das Internet auf längere Sicht das Individualmedium bleiben wird, das es jetzt noch ist, wenn einerseits die selben Medieninhalte übers Internet abgerufen werden können, wie sie jetzt im Fernsehen zu finden sind, und anderseits die digitalen Fingerprints im Netz die Überwachung jedes Surfers möglich machen, bleibt dahingestellt.

Wie mit 70 km/h im Stadtgebiet

Daß nur in totalitärer Umgebung überwacht wird und in unserer pluralistischen Gesellschaft dem gesetzesmäßige Riegel vorgeschoben sind, ist wohl mehr Hoffnung als Gewißheit für den Einzelnen. Hultzsch selbst gestand ein, daß die Telekoms nicht abhören dürfen und gestraft werden, wenn sie erwischt werden, aber "das ist so wie wenn ich mit 70 km/h durch Wien fahre und erwischt werde". Jeder gelernte Autofahrer stöhnt ob solcher Perspektiven, denn wie oft werden sie erwischt? Mit der Abhör- und Überwachungssicherheit dürfte es also nicht allzu weit her sein. Nur die schiere Datenmenge schützt den Einzelnen. Die Menge ist schon so groß, daß nur gezielt zur polizeilichen Überwachung ausgewertet werden kann.

Welche gesellschaftlichen Implikationen die Verwendung des Internets hat, kann also noch nicht abgesehen werden. Sloterdijk lobt den aktiven Umgang durch den User im Gegensatz zum passiven Couchpotatoe. Ein Telekommensch denkt sich, hier wird viel Traffic generiert, also ist es gut, egal welche Inhalte darüber transportiert werden. Vielleicht sollte man nächstens doch über Inhalte diskutieren, wenn sich nun Telekomunternehmen immer mehr auch als Contentlieferanten versuchen.

Christine Köttl




MOBILE TIMES Home Letzte Überarbeitung: Montag, 10. Februar 2003
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