MOBILE TIMES Archiv Startseite : Archiv : Heft 19 : Artikel

Artikel aus Mobile Times 19

Datendienste in GSM-Netzen

In der Nummer 13 (Seite 27) von Mobile Times schrieb Michael Köttl zum Thema "Mobil ins Netz" die beiden Schlußsätze: "Bleibt nur noch das Problem der Datenübertragungsrate bei GSM. Aber das ist eine andere Geschichte" Hier ist sie, die andere Geschichte:


Geschwindigkeit ist ein Problem, aber es ist nicht das einzige, wenn es um die Datenübertragung bei GSM geht. Das Folgende soll zeigen, daß der Datendienst im GSM dennoch ein interessantes Thema ist. Was hier für GSM gesagt wird, gilt im wesentlichen auch für DCS 1800.

Natürlich wünscht sich der mobile Anwender einer Datenkommunikation höchstmögliche, ungestörte Bandbreite zu geringsten Kosten. Aber Kosten sind relativ, daher muß zunächst gefragt werden, was sind die Alternativen. Die billigste Alternative ist es, auf die mobile Anbindung zu verzichten, und den Notebook im Büro ans Firmennetz anzuschließen. Sehr kostengünstig fährt man auch, wenn der Außendienstmitarbeiter sein Modem beim Kunden ans Telephon anschließt, und dieser die Telephongebühr übernimmt. In der Praxis dürfte dieses Ansinnen aber eher die Ausnahme sein. Öffentliche Datenfunksysteme? Gibt es zwar in manchen Ländern, nicht aber in Österreich. Also doch GSM? Ja, durchaus.

Mit 9600 Bit pro Sekunde (bit/s) kann man einiges bewirken, insbesondere gut Faxe senden und auch längere Dateien sinnvoll übertragen, wenn die 9600 ehrlich sind. Als Anwender kann man bei GSM wählen: Gute Übertragungssicherheit (geringe Bitfehlerrate) aber reduzierten, nichtkonstanten Datendurchsatz (Nicht-Transparent) oder hohe Bitfehlerrate, aber dafür verzögerungsfrei und bei voller Geschwindigkeit (Transparent). Je nach Anwendung ist eines der beiden Verfahren vorzuziehen. Faxverkehr verträgt zum Beispiel hohe Bitfehlerraten, weil übergeordnete Protokollschichten dafür sorgen, daß trotzdem etwas Lesbares zum Empfänger kommt. Die große Redundanz im geschriebenen Text und in Bildern hilft da kräftig mit. Anders beim File-Transfer, besonders wenn kein geeignetes Fehlerkorrekturverfahren von den Datenendgeräten verwendet wird. Da geht mit transparenter Übertragung gar nichts.

Radio Link Protocol

Die "Erfinder" von GSM haben rechtzeitig vorgesorgt, und mit dem Radio Link Protocol (RLP) in der Schicht 2 (nach OSI) ein Hilfsmittel eingebaut, das die Eigenheiten eines Funknetzes berücksichtigt. Das RLP enthält eine zusätzliche Fehlerkorrektur, sowie ein Rückfrageverfahren, das die Bitfehlerrate auf ca. 10-8 bringt. Vorausgesetzt, die Verbindung ist wenigstens so gut, daß das RLP einen Roh-Datenstrom mit einer Fehlerrate in der Größenordnung von einem Promille bekommt. Der Nicht-Transparent-Modus ist bei GSM gleichbedeutend mit Radio Link Protocol. Das RLP ist in der ETS 300 563 (GSM 04.22) spezifiziert und weist einige einstellbare Parameter auf, durch die der Anwender die Übertragung für seine speziellen Anforderungen optimieren kann. In der Phase 2+ der GSM-Spezifikation kommt eine neue Version des RLP. Diese wird auch für die Anwendung bei HSCSD (High Speed Circuit Switched Data), dem zukünftigen schnelleren Datenübertragungsverfahren, das mehrere physikalische Kanäle (Zeitschlitze) zusammenfaßt, geeignet sein. Damit wird es in Hinkunft möglich, bis zu 57,6 Kilobit pro Sekunde (kbit/s) ohne Komprimierung zu übertragen. Die teilweise schon jetzt genannten höheren Datenraten beruhen auf Komprimierungsverfahren, und sind daher nicht vergleichbar.

Voll Nicht-Transparent

Beide in Österreich derzeit in Betrieb befindlichen Netze bieten übrigens die Nicht-Transparente Übertragung an, dies nicht nur bei 9600 bit/s, sondern auch bei 2400 und 4800 bit/s. Das RLP wird zwischen dem mobilen Endgerät und der sogenannten Interworking Unit (IWU), die im betroffenen Mobile Switching Centre (MSC) enthalten ist, gefahren. Falls die Gegenstelle der Datenübertragung ein analoges Modem ist, enthält die IWU auch das dazu passende Modem, z.B. für V.32.

Den jeweils aktuellen Stand der angebotenen Trägerdienste, Modems etc., kann man unter
http://www.mobilkom.at/mobilkom/service/data.html
und
tks@maxmobil.at
abrufen bzw. erfragen.

Das RLP bietet, wie schon erwähnt, keinen konstanten Durchsatz. Wenn die Datenendeinrichtungen daher nicht mittels Flußkontrolle (z.B. XON, XOFF) gesteuert werden können, kommt es zu einem Überlauf der Zwischenspeicher und die Verbindung muß abgebrochen werden. Solche Zwischenspeicher sind sowohl im Mobilgerät, das Nicht-Transparente Datenübertragung unterstützt, als auch in der IWU vorgesehen.

Das RLP alleine kann die Übertragung nicht steuern, dazu bedarf es eines weiteren Protokolls, des sogenannten Layer-2-Relais. Auch dieses ist in der Schicht 2 angeordnet, liegt sozusagen unterhalb des RLP und ist für die Flußkontrolle zuständig.

Funk-ISDN

Eigentlich ist GSM eine auf die Eigenheiten der Funkübertragung angepaßte Variante des ISDN. Dementsprechend heißt die Funkverbindung Um-Schnittstelle, und der Nutzkanal (ISDN 64 kbit/s) Bm-Kanal. Für die Datenübertragung mit 9,6 kbit/s hat dieser Bm-Kanal eine Nettoübertragungsrate von 12 kbit/s, für 4,8 kbit/s eine solche von 6 kbit/s. Für Sprache stehen übrigens 13 kbit/s zur Verfügung.

Die Unterschiede basieren auf den verschiedenen Verfahren der Kodierung und Bitratenanpassung. Diese "logischen" Kanäle werden durch entsprechende Kodierung erst auf die "physikalischen" Kanäle aufgebracht. Eine Anwenderübertragungsrate von 9,6 kbit/s wird damit bei der Funkübertragung zu 22,8 kbit/s. Mit anderen Worten: Weniger als die Hälfte der gesendeten Bits stehen dem Anwender zur Verfügung, der Rest wird zur Aufrechterhaltung der Übertragungsqualität gebraucht. Dies regt natürlich die Entwickler an, aus dem vorhandenen Rohmaterial an Übertragungsgeschwindigkeit für den Nutzer noch mehr herauszuholen (siehe HSCSD, weiter oben).

Auch die Strecke vom MSC zum anderen Teilnehmer ist betrachtenswert. Bei einem Mobilteilnehmer ist die Sache recht einfach. Die MSC´s sind untereinander mit schnellen Digitalverbindungen vernetzt. Die Einrichtungen sind also alle vorhanden; durch entsprechende Bitratenadaption kommen die Daten beim fernen Mobilteilnehmer wieder so an, wie sie ausgesendet wurden.

Zum Drahtteilnehmer

Anderes tritt ein, wenn ein Drahtteilnehmer angesprochen wird. Hier unterscheidet man zwischen 3,1 kHz Audio, also der Modemübertragung im Sprachband und Unrestricted Digital Information (UDI). Letzteres ist die rein digitale Übertragung zu ISDN-Datenendgeräten mit der Bitratenadaption nach V.110. Übrigens ist auch das RLP ein Ableger von V.110, allerdings mit kleineren Blöcken (60 Bit gegenüber 80 Bit).

Teledienst und Trägerdienst

Im ISDN sind die Begriffe Teledienst (Teleservice) und Trägerdienst (Bearer Service) gebräuchlich und wurden ins GSM übernommen. Bei Telediensten, z.B. Sprache, ist alles, gewisse Eigenschaften der Endgeräte eingeschlossen, spezifiziert. Trägerdienste sind hingegen zwischen Schnittstellen definiert.

Alle Teledienste bauen auf Trägerdiensten auf, sie sind in der nächsthöheren OSI-Schicht zusätzlich definiert. Neben Sprache, Notruf und SMS ist im GSM auch Telefax Gruppe 3 als Teledienst definiert. Dies hat den Vorteil, daß die Mobilnetze auf gewisse Eigenarten der Faxübertragung Rücksicht nehmen. Beim Drahttelephon ist es ja umgekehrt, hier wurde der Faxdienst an die Möglichkeiten des Analogtelephonnetzes angepaßt. Die Fax-Teledienste TS 61 und 62 sind sowohl für Transparent als auch für Nicht-Transparent spezifiziert.

Die Trägerdienste dienen den Netzbetreibern einerseits selbst, damit sie die Teledienste aufsetzen können, andererseits werden sie den Nutzern für Datenübertragung auch direkt angeboten. In Österreich bieten max.mobil und die Mobilkom diese Dienste mit einer eigenen Rufnummer, unterschiedlich von der Sprachtelephonnummer an, dies ist aber kein Muß. Wie im ISDN haben die einzelnen Dienste auch beim GSM eigene Dienstekennungen, sodaß nur zum jeweiligen Dienst passende Endgeräte ansprechen bzw. einen ungeeigneten Dienst abweisen.

Service der Netzbetreiber

Nicht nur bei der Nummernvergabe, auch sonst räumen die Spezifikationen den Netzbetreibern viele Möglichkeiten ein, Datendienste attraktiv zu gestalten. So könnten z.B. SIM-Karten ausgegeben werden, die nur Datendienste erlauben. Niedrige Gebühren für die Nutzung des Datendienstes von Handy zu Handy innerhalb des Bereiches eines BSC (Base Station Controllers) oder einer MSC wären ein besonderer Anreiz für nur lokal tätige Nutzer.

Die nächsten Monate werden zeigen, wieweit die Netzbetreiber bereit sind auf die Bedürfnisse einer kommerziellen Nutzerschicht einzugehen und die Datendienste attraktiv zu vergebühren. Derzeit gelten die netzinternen Billigtarife für die Datenübertragung noch nicht. Dies, obwohl der Aufwand für die netzinterne Datenübertragung nicht höher ist, als für die Sprachübertragung.

Die Zukunft

Über die noch nicht in Betrieb befindlichen neuen Systeme der Phase 2+ wie HSCSD, GPRS (General Packet Radio Service), PDS (Packet Data on Signalling channels) wird Mobile Times demnächst berichten.

Mit den GSM-Netzen steht eine flächendeckende, sicher funktionierende Infrastruktur zur Verfügung, die von hunderttausenden Sprachteilnehmern mitfinanziert wird. Es ist daher unschwer vorauszusehen, daß sich die Marktnische Datenübertragung bald erweitern wird, und eine attraktive Möglichkeit für eine Vielzahl von Anwendungen bietet. Es sind bei jedem einzelnen Projekt technische Detailprobleme zu lösen. Auch kleine Unternehmen können spezielle, auf die Bedürfnisse ihrer Kunden zugeschnittene Lösungen entwickeln, und dabei eine echte Wertschöpfung erbringen.

Die Geschichte mit der Datenübertragung im GSM hat gerade erst begonnen. Freuen wir uns auf die Fortsetzung!

Fritz Schüller


Im Text verwendete Abkürzungen

BSCBase Station Controller (in einem Mobitelephonsystem)
DCSDigital Communication System (identisch mit GSM 1800)
ETSEuropean Technical Specification
GPRSGeneral Packet Radio Service
GSMGlobal System for Mobile communication
GSMfrüher: Groupe Special Mobile
HSCDSHigh Speed Circuit Switched Data
ISDNIntegrated Services Digital Network
IWUInterWorking Unit
MSCMobile Switching Centre
OSIOpen Systems Interconnection
PDSPacket Data on Signalling channels
RLPRadio Link Protocol
SIMSubscriber Identity Module
UDIUnrestricted Digital Information
XOFFTransmit Off
XONTransmit On
XDas "X" in XON und XOFF kommt aus der im US-Englisch üblichen Abkürzung "TX" für Transmit, also Senden.



MOBILE TIMES Home Letzte Überarbeitung: Montag, 10. Februar 2003
Text © 1998 by Mobile Times; HTML © 2001-2003 by Mobile Times
Valid HTML 4.01!